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Maria Teschler-Nicola

Foto: APA/NHM-WIEN/HISCHAM MOMEN

Wien – Von den ersten menschlichen Spuren in unseren Breiten bis zum unmenschlichen Umgang der Wissenschaft mit Menschen in der NS-Zeit spannt sich das Forschungsinteresse von Maria Teschler-Nicola. Am Samstag (24. Oktober) wird die Direktorin der Abteilung für Anthropologie des Naturhistorischen Museums Wien (NHM), die mit neuen Techniken alten Funden ihre Geheimnisse entlockt, 65 Jahre alt.

Im NHM sitzt die am 24. Oktober 1950 in Eggenburg (NÖ) geborene Anthropologin und Humanbiologin sozusagen an der Quelle – landen dort doch viele der wichtigsten archäologischen Funde der ehemaligen Habsburgermonarchie und des heutigen Österreichs. Darunter sind auch einige der ältesten Hinweise auf die Anwesenheit des Menschen in Europa, wie etwa die 1882 in einer Höhle nahe dem tschechischen Dorf Mladec (Lautsch) in Südmähren gefundenen Schädel-, Zahn- und Knochen-Funde von frühen modernen Menschen oder die 2005 bei Krems entdeckte, etwa 32.000 Jahre alte Doppelbestattung zweier Säuglinge.

Fächerübergreifender Ansatz und Arbeit vor Ort

"Integrative prähistorische Anthropologie" – so definierte Teschler-Nicola einmal ihren Fachbereich. Damit ist gemeint, dass diese Wissenschaft sich zu einer Disziplin entwickelt hat, die aus Informationen aus vielen Forschungsdisziplinen neues Wissen generiert. Teschler-Nicola und ihre Kollegen fördern durch den Einsatz neuer Methoden, wie der Computertomografie oder DNA-Analysen, immer mehr Details aus dem Leben längst verstorbener Menschen ans Tageslicht.

Kürzlich griff die Forscherin aber auch wieder zu den Ausgrabungswerkzeugen: Denn im Fall des Sensationsfundes der sogenannten "Zwillinge vom Wachtberg" haben virtuelle Analysen nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht. Die diesen Sommer gestartete Ausgrabung innerhalb der Mauern des NHM bereitete Teschler-Nicola Kopfzerbrechen: "Es tut schon ein bisschen weh, den Fund damit zu zerstören", sagte die Autorin von über 120 Publikationen, deren Forschungstätigkeit und Wirken als Wissenschaftsvermittlerin stark mit dem Haus an der Wiener Ringstraße verbunden ist.

Forschungssschwerpunkte

Nach ihrem Studium der Humanbiologie, Volkskunde und Medizin an der Universität Wien promovierte sie dort 1976 im Hauptfach Humanbiologie. Danach war Teschler-Nicola unter anderem am Institut für Humanbiologie der Uni Wien tätig. 1982 wechselte sie an die Anthropologische Abteilung des NHM, die sie seit 1998 leitet und deren eineinhalb Jahrzehnte geschlossene Schausäle sie 2013 neu gestaltete.

Ein besonderes Forschungsinteresse Teschler-Nicolas gilt Krankheiten und ihrer historischen Entwicklung. Zusammen mit dem Arzt Wolfgang Killian machte sie Beobachtungen, die auf eine bis dahin unbekannte Chromosomenanomalie schließen ließen, und publizierte darüber 1981. Einen ähnlichen Verdacht hegte bereits 1977 der amerikanische Arzt und Forscher Philip Pallister. Die seltene Erkrankung wird mittlerweile "Pallister-Killian-Syndrom" oder "Teschler-Nicola-Syndrom" genannt. Eine weiteree wichtige Leistung war auch der erste Nachweis eines Leprafalls im frühmittelalterlichen Österreich. Beteiligt war sie auch an wissenschaftlichen Analysen der Gletschermumie "Ötzi" oder der Aufarbeitung eines Massakers, das vor etwa 7.000 Jahren in Schletz bei Asparn an der Zaya (NÖ) stattfand.

NS-Zeit aufgearbeitet

Auch mit einem besonders dunklen Kapitel der Wissenschaftsgeschichte und des NHM hat sich Teschler-Nicola auseinandergesetzt, als sie 2004 im Rahmen des Projekts "Forschungs-Objekt 'Jude' – Anthropologie im NS-Regime" zeigte, wie sehr zeitgeschichtliche Rahmenbedingungen die sogenannte Objektivität beeinflussen können. Den Verfall des wissenschaftlichen Ethos zeichnete das Forschungsteam anhand des Schicksals von 440 männlichen Juden nach, die 1939 im Wiener Stadion inhaftiert worden waren. Bevor sie Opfer des NS-Massenmordes wurden, missbrauchten Forscher um den damaligen Leiter der Anthropologischen Abteilung des NHM, Josef Wastl, diese Menschen als anthropologische Forschungsobjekte. (APA, 23. 10. 2015)