Die Geschichte ist irritierend: Unlängst tauchte in den erhabenen ARD-Tagesthemen (später auch bei Morgenmagazin und Brisant) ein Mann ohne Oberkörper auf. Dessen Unvollständigkeit sei jedoch kein technischer Fehler gewesen, so der Sender. Geduld! Die Rätsellösung würde folgen.

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Nun tauchte hierzu in Sozialmedien ein Tanzstück auf, das Hermeneutiker besorgt. ARD-Nachrichtenstars vollführten in einer Montage einen Can-Can, schließlich hieß es: "Der ganze Mensch – die ganze Wahrheit: Tagesschau!" Deutungswissenschafter sind nun überzeugt, darin Hinweise auf die nahende TV-Revolution zu erkennen.

Demnächst würden Männer und Frauen der Tagesschau – erstmals seit Erfindung des TV – hinter ihren Pulten hervorspringen und Tageswahrheiten ganzkörperlich übermitteln. Neues wurde ja bislang von ihren Oberkörpern nahegebracht. Was unterm Pult war, blieb privat. Der Sprecher war nichts, die Nachricht alles.

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Sollten Exegeten recht behalten, droht nun also Bedenkliches. Es hieße, dass auch die letzte TV-Bastion des Seriösen dem Relaunchzeitgeist in den Schoß fiel. Bislang wusste niemand, ob es sich bei den Sprechern der Tagesschau nicht doch um Leihgaben aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett handelt. Daher rührte ihr Charisma, daher ihre Glaubwürdigkeit – und nun das?

Wobei: Klarheit bescherte auch der Can-Can-Clip nicht, eher nährte er weitere Befürchtungen: Womöglich verlassen die Nachrichtenmenschen nicht nur ihre Pulte. Womöglich beginnen sie, zu Neuheiten zu tanzen. Vom Stehen zum Steppen ist nur ein kleiner Schritt. Diese Weisheit wird womöglich bald in der Tagesschau zur bitteren Realität. (Ljubisa Tošić, 22.10.2015)