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Am Anfang Distanz, dann Zweckgemeinschaft – und heute so etwas wie Freundschaft: US-Präsident Barack Obama und sein Vize Joe Biden (rechts), der doch nicht selbst Präsident werden möchte.

Foto: REUTERS / Carlos Barria

Ein halbes Jahrhundert lang hat Joe Biden davon geträumt, einmal selbst im Oval Office zu residieren. Er war Mitte zwanzig, als ihn die Mutter seiner ersten, später bei einem Autounfall tragisch verunglückten Frau Neilia nach seinen Berufszielen fragte und die Antwort bekam: "Präsident. Präsident der Vereinigten Staaten." Er soll es mit großem Ernst gesagt haben, kann man in Biden-Biografien nachlesen.

Aus dem Lebenstraum wird nun nichts mehr. Dass der Vollblutpolitiker den Plan aufgibt, sich nach zwei missglückten Anläufen ein letztes Mal ums Weiße Haus zu bewerben, markiert einen Einschnitt, über den man in Washington noch eine Weile reden dürfte.

Der Loyalist

Biden wird 74 sein, wenn er die Schlüssel zur Villa des Vizepräsidenten im Jänner 2017 an seinen Nachfolger übergibt. Gut möglich, dass er sich dann komplett verabschieden wird aus der politischen Arena. Ein Mann, der acht Jahre lang im Schatten Barack Obamas gestanden haben wird – viel eindeutiger, als es zuvor beim Duo George W. Bush und Dick Cheney der Fall gewesen war. Ein Loyalist, der seinen Chef mit einer grimmigen Entschiedenheit gegen alle Vorwürfe verteidigte, wie es bei Stellvertretern längst nicht immer der Fall gewesen war.

Dabei hat sie ein wenig holprig begonnen, die Arbeitsbeziehung zwischen Obama und Biden: Als der Newcomer aus Chicago sein Büro im Senat bezog, begegnete ihm Biden, der zu jener Zeit bereits 32 Jahre in der illustren Kammer verbracht hatte, mit jener leicht herablassenden Art, wie sie altgediente Senatoren gegenüber jüngeren oft an Tag legen.

Der Ausrutscher

Zwei Jahre später, Obama war drauf und dran, an den Start des Rennens ums Oval Office zu gehen, machte Biden dem Konkurrenten ein Kompliment, für das er sich prompt entschuldigen musste: Mit der Attitüde eines Patriarchen charakterisierte er den Parteifreund als "den ersten Afroamerikaner des Mainstreams, der artikuliert und gescheit und sauber und ein gut aussehender Bursche ist".

Wiederum zwei Jahre später, man regierte nun gemeinsam im Weißen Haus, kommentierte Biden ein 787 Milliarden Dollar schweres Konjunkturpaket gegen die Krise bei einer Klausurtagung mit den Worten, "selbst wenn wir alles richtig machen, bleibt eine 30-prozentige Chance, dass es falsch sein wird". Der Satz wurde publik, bei nächster Gelegenheit spöttelte der auf eiserne Disziplin im eigenen Laden bedachte Präsident, er könne sich nicht genau erinnern, worauf Joe sich beziehe, aber das sei wohl auch nicht überraschend.

Der Netzwerker

Joe Biden, der Vielredner, sollte das heißen. Uncle Joe eben. Nach dem Streit sollen sich die beiden zusammengesetzt und ihre Beschwerden übereinander ausgetauscht haben. Von da an, schreiben die Chronisten Mark Halperin und John Heilemann, wurde es deutlich besser.

Die Rollen sind längst klar verteilt. Obama, der brillante Redner, tut sich schwer damit, Hände zu schütteln und Schultern zu klopfen. Biden, ein Meister des Smalltalks, versäumt dagegen keine Gelegenheit, seinen irischen Charme spielen zu lassen – kaum zu stoppen, wenn er einmal Anekdoten erzählt.

Was Obama an persönlicher Kontaktpflege zu Kongressabgeordneten fehlte, versuchte sein Vize von Anfang an mit einem engmaschigen Kontaktnetzwerk auszugleichen.

Der Skeptiker

Wichtiger noch: Der Part des Skeptikers, der offensivere Kabinettsmitglieder vor einer Überschätzung amerikanischer Macht warnte, er wurde maßgeblich von Biden übernommen. Kein Wunder, dass ihm Obama am Mittwoch den Rosengarten überließ – nicht nur, um den Verzicht auf eine Kandidatur zu verkünden, sondern auch, um Hillary Clinton, die nunmehr unangefochtene Favoritin der Demokratin, vor etwas zu warnen, was er als Rückfall in unrealistisches Supermachtdenken versteht.

Bidens Schlüsselsatz: Das Argument, "wir müssten irgendwas machen, wenn böse Leute etwas Böses tun", sei nicht gut genug, um eine Intervention zu begründen.

Der Experte

Es war Bidens außenpolitische Expertise, die Obama im Sommer 2008 veranlasste, ihn ins Boot zu holen. In der Administration stand und steht er für weltpolitische Zurückhaltung. Während die Außenministerin Clinton einem Eingreifen in Libyen das Wort redete und den zögernden Präsidenten letztlich überzeugte, warnte er vor dem Chaos, das dem Sturz Muammar al-Gaddafis folgen könnte.

Im Dezember 2011, er war nach Bagdad geflogen, um seinen Vorgesetzten bei einer Zeremonie anlässlich des Abzugs der US-Soldaten zu vertreten, rief er Obama an, um sich zu bedanken – "dass Sie mir die Chance gaben, diesen verdammten Krieg zu beenden".

Die zweite Geige

Mit Blick auf Afghanistan plädierte er für gezielte Attacken gegen die Schlupfwinkel Al-Kaidas, Drohnenangriffe im pakistanischen Grenzgebiet eingeschlossen – und nicht für einen andauernden Militäreinsatz größeren Stils, um die Taliban abzuwehren.

Eines hat sich Biden – bei allem Ehrgeiz – nie angemaßt: nämlich wie einst Cheney die Rolle eines Kopräsidenten zu spielen. Dass er fraglos die zweite Geige spielen würde, hat er bereits 2008 betont, als er dem Magazin "Newsweek" über ein Gespräch mit Obama erzählte. "Ich bin 65, und Sie werden keine Angst haben müssen, dass ich mich selber als Präsident in Position bringe", will er den Wahlsieger beruhigt haben. Nur hat es ihm damals noch keiner geglaubt. (Frank Herrmann, 22.10.2015)