Das ausgebrannte US-Konsulat in Bengasi nach dem Anschlag 2011.

Foto: ESAM OMRAN AL-FETORI

Als Chris Stevens, der amerikanische Botschafter in Libyen, einen Notruf absetzte, war es fast schon zu spät. Da hatten die Angreifer bereits kanisterweise Petroleum angezündet in dem Gebäude, in das der Diplomat mit seinem Kollegen Sean Smith und einem Bodyguard namens Scott Wickland geflohen war. Dichter Rauch nahm den Eingeschlossenen die Luft zum Atmen, sie krochen zur Toilette, irgendwann stieß Wickland ein Fenster auf, durch das er ins Freie gelangte. Stevens und Smith schafften es nicht nach draußen. Der Leibwächter, so schilderte er es später, drohte in Ohnmacht zu fallen, als er sich anschickte, in das brennende Haus zurückzukehren, um nach den beiden zu suchen.

Während man Smiths Leiche in der Villa fand, fehlte von Stevens zunächst jede Spur. Vier Stunden nach der Attacke meldete sich ein Anrufer aus einer Klinik bei der US-Botschaft in Tripolis, um mitzuteilen, dass Stevens in dem Spital liege. Kurz darauf wurde der Botschafter für tot erklärt, und noch in derselben Nacht kam ein Anwesen, das der CIA als getarnter Außenposten diente, unter Granatwerferbeschuss. Zwei Geheimdienstler, Glen Doherty und Tyrone Woods, starben.

Mehrere Untersuchungen im Kongress

Seitdem hat der Kongress immer wieder unter die Lupe genommen, was in der Nacht vom 11. auf den 12. September 2012 in Bengasi geschah, der ostlibyschen Stadt, in der eine Zelle bewaffneter Islamisten das Konsulat der Amerikaner stürmte. Abläufe wurden rekonstruiert, Fehler eingestanden. Obwohl sich die Gefahrenmomente in Bengasi nach der ersten Euphorie des Sieges über den Diktator Muammar al-Gaddafi zu häufen begannen, obwohl Stevens warnende Depeschen schrieb, blieb das Außenministerium bei seinen Plänen, das Wachpersonal zu reduzieren. Mit dem Namen der Stadt, der Hochburg der Rebellion gegen einen finsteren Autokraten, verbanden sich fast romantische Gefühle.

Offenbar wollte mancher in Washington einfach nicht wahrhaben, was Stevens schrieb. Ob auch die Außenministerin Hillary Clinton die Realität durch die rosarote Brille sah, ob Depeschen ihres Botschafters überhaupt bis zu ihr vordrangen oder aber in der Ministerialbürokratie versandeten – das sind jene Fragen, denen sich das Parlament seit drei Jahren widmet.

Noch einmal aufgerollt

Bereits im Jänner 2014 gelangte das Geheimdienstkomitee des Senats zu einem eindeutigen Schluss: Indem Warnungen ignoriert worden seien, habe man das US-Personal in Libyen einem zu hohen Risiko ausgesetzt. Seit 17 Monaten nun rollt ein Bengasi-Sonderausschuss des Repräsentantenhauses das Kapitel noch einmal auf, geleitet von einem Konservativen, einem aufstrebenden Südstaatler namens Trey Gowdy. Vor dem Gremium muss Hillary Clinton am Donnerstag in den Zeugenstand treten. Der Auftritt könnte mit darüber entscheiden, wie es 2016 um ihre Wahlchancen steht.

Dass es nicht nur um die reine Wahrheitssuche geht, sondern auch darum, eine Präsidentschaftskandidatin in die Mangel zu nehmen, hat ein hochrangiger Republikaner in einem Moment unfreiwilliger Offenheit klargemacht. Kevin McCarthy, Fraktionschef der Partei im Repräsentantenhaus, sprach Klartext, als er sich im Sender Fox News gegen den Vorwurf der Tea-Party-Hardliner verteidigte, ein Weichei zu sein. "Jeder dachte, Hillary Clinton sei unbesiegbar, stimmt's? Dann haben wir den Sonderausschuss zu Bengasi gegründet. Und wie ist es heute um ihre Umfragewerte bestellt?" Während das Wort vom Fauxpas des Jahres die Runde machte, legte McCarthys moderater Parteifreund Richard Hanna ungerührt nach: "Manchmal ist es in Washington die größte Sünde, dass man die Wahrheit sagt." Natürlich gehe es zu großen Teilen darum, Hillary Clinton eins auszuwischen. Es sind verbale Steilvorlagen für die Kandidatin, die das natürlich genauso sieht. Der Bengasi-Ausschuss, sagt sie, sei nie etwas anderes gewesen als eine parteipolitische Übung. (Frank Herrmann aus Washington, 21.10.2015)