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Frauen sitzen am zweiten Tag der Parlamentswahlen, die sich bis Anfang Dezember hinziehen, vor einem Wahllokal in Alexandria.

Foto: AP / Hassan Ammar

Von den Freudentänzen bei der Wahl von Abdelfattah al-Sisi zum Präsidenten im Mai 2014 ist nichts mehr zu sehen. Jetzt herrscht eine Atmosphäre von Pflichtgefühl rund um die Wahllokale. Eine alte Frau schleppt sich auf ihrem Stock in eines der zu Wahlbüros umfunktionierten Klassenzimmer in Giza. Sie bittet den Vorsitzenden Richter, ihr zu sagen, was sie wählen soll. Der lehnt kategorisch ab, versucht immerhin zu helfen. Welche Kandidaten? "Mohammed", sagt die Greisin. Davon gibt es viele. "Das Telefon", nennt sie schließlich eines der Symbole, die jeder Kandidat zu seiner Erkennung auch für Analphabeten hat.

Der Richter hält den Vorgang gleich in einem Protokoll fest. Er hat Zeit. Diesmal warten die Organisatoren, nicht die Wähler. So gering war der Andrang noch bei keinem der zahlreichen Urnengänge nach der Revolution von 2011.

Mit dem Schummelzettel an die Urnen

Das gleiche Bild am Montagabend in einem Gymnasium in Aguza, einem Wohnviertel der Mittelklasse. Die Wahlhelfer vertreiben sich die Langweile mit ihren Smartphones. Hier wissen die wenigen Wähler aber besser Bescheid über das komplizierte System aus Listen und Einzelkandidaten. Die meisten bringen ihren "Schummelzettel" mit den Namen ihrer Favoriten mit. Es sind vor allem ältere Leute, mehr Frauen als Männer, Junge sind kaum zu sehen.

Regierungschef Sherif Ismail sprach von 15 Prozent Beteiligung am ersten Tag. Lokale Wahlbeobachter nannten viel tiefere Zahlen. Um den Zustrom anzukurbeln, hat die Regierung den Beamten einen halben Tag frei gegeben. In Alexandria waren die öffentlichen Verkehrsmittel gratis. Aber die Wahlkommission hat auch nochmals betont, dass Nichtwählen mit einer Strafe von 500 Pfund geahndet werde. Die umgerechnet 55 Euro sind viel Geld, auch wenn die Strafe selten durchgesetzt wird. Dennoch ist auch am zweiten Tag der Anstieg nicht überwältigend.

"Keine Probleme"

Die niedrige Wahlbeteiligung kommt nicht überraschend. Die Parteien spielen bei diesem Wahlsystem mit 80 Prozent Einzelkandidaten kaum eine Rolle, die Muslimbrüder – die letzten Wahlsieger – wurden zu Terroristen erklärt, viele liberale Oppositionelle sind im Gefängnis und die Studenten wurden mundtot gemacht. Diejenigen, die antreten, unterstützen alle Präsident Sisi.

Im Netz wird die niedrige Wahlbeteiligung spöttisch kommentiert: Es sei im Vorfeld genial gelungen, zu vermitteln, dass es keine Probleme gebe, meint jemand. Boykottieren bedeute den Sieg der ultrakonservativen Salafisten, Wählen den Sieg der Mubarak-Getreuen, meint ein anderer.

Die fehlende politische Brisanz hat sich positiv auf die Sicherheit ausgewirkt. Die Vorwahlzeit war ausgesprochen ruhig. Dennoch waren rund 400.000 Mann an Polizei und Militär aufgeboten, aber ihre Präsenz war viel weniger martialisch als 2014. In der ersten Runde fanden Sonntag und Montag die Wahlen für 286 Sitze in 14 Provinzen statt, darunter der Giza-Teil von Kairo, Alexandria und Oberägypten. In zehn Tagen gibt es Stichwahlen, und Ende November wird dasselbe Prozedere für die zweite Landeshälfte durchgeführt. (Astrid Frefel aus Kairo, 19.10.2015)