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Gedenken: "Wir wollten nur Frieden" steht unter einem Plakat mit Bildern der Terroropfer von Ankara.

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Kurdenpolitikerin Tuncel: AKP trug zum Flüchtlingsproblem bei.

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Ankara/Wien – Nur einen Tag nach dem Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Istanbul hat der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu die Aussicht auf eine Übereinkunft in der Flüchtlingsfrage mit drastischen Worten relativiert.

Niemand könne erwarten, dass die Türkei ein Land "wie ein Konzentrationslager" werde, in dem sich alle Flüchtlinge befinden. Er habe dies auch Angela Merkel gesagt, erklärte Davutoglu am Montag in einem Interview mit dem türkischen TV-Sender A-Haber.

Mechanismus für "geordnetes Festhalten"

Davutoglu, ein früherer Politikprofessor, der sich viel auf seine Geschichtskenntnisse zugutehält, hatte den Begriff vom Konzentrationslager im Zusammenhang mit den heutigen Flüchtlingen in den vergangenen Tagen schon einmal gebraucht. In den Konzentrationslagern der deutschen Nationalsozialisten wurden Millionen Menschen zur Zwangsarbeit missbraucht und ermordet.

Die Türkei werde aber gemeinsam mit der EU einen Mechanismus schaffen, bei dem illegale Flüchtlinge in "geordneter und guter Weise unter Kontrolle festgehalten werden können", kündigte der Premier nun an. In der Türkei sind derzeit mehr als zwei Millionen syrische Flüchtlinge registriert.

Medien sehen Sieg der Türkei

Die türkische Presse jubelte am Montag über Merkels Zugeständnisse. "Sie hat die Segel gestrichen", titelte die regierungsnahe Tageszeitung Akşam. Die meisten Blätter zeigten Merkel bei Staatspräsident Tayyip Erdogan, nicht beim längeren Gespräch mit Davutoglu. Merkel hatte die Öffnung von mindestens einem neuen Verhandlungskapitel versprochen, die schnellere Aufhebung des Visa-Zwangs, mehr Geld für die Flüchtlingshilfe und die Teilnahme der Türkei an EU-Gipfeln.

Die prominente türkische Kurdenpolitikerin Sebahat Tuncel äußerte Kritik an Merkels Besuch in Istanbul. So kurz vor den Wahlen am 1. November könne er auch als "Unterstützungserklärung für die AKP" angesehen werden – die konservativ-islamische Regierungspartei –, sagte Tuncel im Gespräch mit dem Standard.

"AKP hat zu Flüchtlingsstrom beigetragen"

Tuncel nahm auf Einladung des Wiener Instituts für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) an einer Diskussion teil. "Das Wichtigste für die Lösung der Flüchtlingsfrage ist ein dauerhafter Frieden in Syrien, in Nahost. Dafür müssen Organisationen wie der IS bekämpft werden, damit sie diese Region verlassen", sagte Tuncel. Die AKP-Regierung aber habe mit ihrer Politik zum Krieg in Syrien und dem Flüchtlingsstrom beigetragen.

Die parteilose EU-Ministerin Beril Dedeoglu, eine Uni-Professorin, flog noch am Montag für einen mehrtägigen Besuch nach Brüssel. Dedeoglu musste einige Kritik für ihre Einschätzung einstecken, hinter dem Terroranschlag in Ankara vom 10. Oktober könne eine Kooperation zwischen der PKK_und dem IS stehen. Man frage sich, warum sich Dedeoglu die Mühe gemacht habe, Profes sorin für internationale Beziehungen zu werden, um solche Komplotttheorien zu verbreiten, schrieb der Kolumnist Ahmet Hakan. (Markus Bernath, 19.10.2015)