Yussi Pick: "Frau Griss müsste noch viel Zeit und Geld investieren, damit ihr Name außerhalb der Blase von Meinungsführern und Journalisten bekannt wird."

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Irmgard Griss, Vorsitzende der Hypo-Untersuchungskommission und ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, macht ihre Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl im kommenden Frühjahr davon abhängig, ob entsprechende "organisatorische Voraussetzungen" geschaffen werden. Kampagnenexperte Yussi Pick über die Spendenbereitschaft der Österreicher und Griss' Chancen auf das Präsidentschaftsamt.

STANDARD: Irmgard Griss hat gesagt, sie wünscht sich, dass die Zivilgesellschaft ihre Kandidatur unterstützt, auch finanziell. Ist in Österreich eine entsprechende Kultur vorhanden, dass sie sich Chancen ausrechnen kann?

Pick: Man merkt, dass sich diese Kultur in Österreich entwickelt. Es gibt immer mehr Menschen, die vielleicht selbst nicht politisch aktiv sind, aber ihr Geld politisch aktiv werden lassen wollen. Die Neos haben einiges dazu beigetragen, dass es normaler wird, in Politik zu investieren. Die Frage ist, ob man sich dabei einen "Return on Investment" erhofft. Es gibt unterschiedliche Motive. Barack Obama haben beispielsweise Kleinspender unterstützt, um sich als Teil der Kampagne zu fühlen. Eine Niederlage sehen sie als persönlichen Verlust, auch einen Gewinn nehmen sie persönlich. Sie sehen sich als Teil des großen Ganzen.

STANDARD: Hat das Präsidentenamt genügend Relevanz, um eine breite Spenderschaft zu mobilisieren?

Pick: Das ist in der derzeitigen politischen Lage schwer abzusehen, weil so viele Faktoren unklar sind. Es ist noch nicht bekannt, wer und wie viele Menschen kandidieren. Das Potenzial der Spendenbereitschaft ist daher schwer abzuschätzen.

STANDARD: Griss ist als Leiterin der Hypo-Untersuchungskommission bekannt geworden. Sagt der breiten Öffentlichkeit der Name Irmgard Griss etwas?

Pick: Sie ist Meinungsführern bekannt, aber sie hat noch keinen Bekanntheitsgrad bei durchschnittlichen Lesern der "Kronen Zeitung". Frau Griss müsste noch viel Zeit und Geld investieren, damit ihr Name außerhalb der Blase von Meinungsführern und Journalisten bekannt wird.

STANDARD: Über ihre sachpolitische Positionierung ist wenig bekannt. Wäre es wichtig, dass die Allgemeinheit davon erfährt, oder wäre es auch stimmig, wenn sie den Wahlkampf als sachpolitisch neutrale Kandidatin durchzieht?

Pick: Bei der Präsidentschaftswahl sind zwei politische Faktoren besonders relevant: Einerseits muss der Wertekatalog des Kandidaten bekannt sein. Dieser muss nicht zu 100 Prozent ausgefüllt sein, aber ein unbeschriebenes Blatt wie Irmgard Griss hat es diesbezüglich schwer, sich klar zu positionieren. Noch relevanter ist eine gewisse außenpolitische Erfahrung. Aus der Vergangenheit zeigt sich, dass, wenn es knapp war, immer der Kandidat gewonnen hat, der außenpolitische Erfahrung mitgebracht hat. Bei den Kandidaten, über die jetzt gesprochen wird, ist diese bei fast niemandem gegeben, was spannend ist.

STANDARD: Griss will sich offenbar als überparteiliche Kandidatin positionieren, die sich aber auch von Neos und FPÖ unterstützen ließe. Wäre die Überparteilichkeit im Fall einer Unterstützung durch eine Partei noch glaubwürdig?

Pick: Es wäre neu, dass eine überparteiliche Kandidatin dieses überparteiliche Amt bekommt. Es kommt sehr stark darauf an, welche Zielgruppen durch andere Kandidaten gebunden sind. Wenn sie gegen Alexander Van der Bellen antritt, würde sie andere Umstände vorfinden als bei einer Kandidatur gegen Rudolf Hundstorfer und Erwin Pröll. Wenn sie die linke Zivilgesellschaft ansprechen will, hätte sie im ersten Fall wenige Chancen.

STANDARD: Griss kann auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen, etwa als Präsidentin des Obersten Gerichtshofs. Trotzdem wäre sie eine Quereinsteigerin. Ist das ein Hindernis oder eher ein Gewinn für eine Kandidatur?

Pick: Ich bin ambivalent, was den Hype betrifft, dass politische Quereinsteigerinnen besser wären als Karrierepolitiker. In erster Linie geht es in beiden Fällen darum, einen Wertekatalog glaubwürdig vertreten zu können. Für das Bundespräsidentschaftsamt braucht es keine tagespolitische Erfahrung, aber Erfahrung mit dem Amtsschimmel in diversen Ausformungen, auch auf dem internationalen Parkett. Sollte Griss auf dieser Ebene vom politischen Gegner angegriffen werden, könnte sie sich aufs Glatteis begeben. (Katrin Burgstaller, 19.10.2015)