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Ophelia und der alte Hamlet: Ignaz Kirchner und Marie-Luise Stockinger in "Die Hamletmaschine", gezeigt im Vestibül des Burgtheaters.

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Wien – Klein, nur neun Seiten lang, ist Heiner Müllers Hamletmaschine. Aber sie macht Lärm! 1977 hat er sie als Nebenprodukt seiner Hamlet-Übersetzung geschrieben, zimperlich ist er dabei nicht gewesen. Zu "Blabla" fasst er am Anfang des Königssohnes Monolog gegen das Meer zusammen. Wie despektierlich, wie befreiend!

Wollte man besagte Maschine also näher bestimmen, könnte man meinen, sie müsse ein Reißwolf sein. Oben Hamlet rein, unten Fetzchen raus. Doch entwickelt Müller dabei konstruktive Dynamik. Vom Loch in des erschlagenen Vaters Kopf kommt er zum Loch der Mutter des Dänenprinzen. "Ich wollte, meine Mutter hätte eins zu wenig gehabt (...): Ich wäre mir erspart geblieben." So kann man die wohl berühmteste Frage der Theaterliteratur nach dem Dasein auch umschreiben.

Im Vestibül, als kleinste Spielstätte des Burgtheaters selbst kaum größer als die Müller'sche Textfläche, bricht an dieser Stelle ein Schoß durch die Kulisse. Er gehört Marie-Luise Stockinger als Ophelia. Gestern hat die düstüme Schöne aufgehört, sich selbst zu töten, stattdessen versucht sie nun ein anderes Loch zu füllen: Einen Stierkopf schleppt sie an, um ihn an eine moosgrüne Museumswand (Bühne: Sarah Sassen) zu hängen. Gerade erst hat sie sich von Männ- sowie Häuslichkeit befreit. Soll er ihre Trophäe sein? Wie dereinst der Zeus die Europa, so nimmt jener sie dabei aber ins Gefängnis seiner Hörner.

Quirliger, pritschelnder Prinz

Hochtragisch und zugleich Slapstick par excellence ist das der szenische Höhepunkt der Regie von Christina Tscharyiski. Nicht immer hält sie diese Leichtigkeit leider durch. Anderes wirkt etwas blutarm, auch wenn Christoph Radakovits als quirliger Prinz in selbigem, aus der Nase des Bullen getropft, pritschelt. Das mit pathetisch-gewichtigen Pausen von Ignaz Kirchner als gealtertem Hamlet Deklamierte etwa kommt als Sprechtheater mitunter musealer daher denn das Bühnenbild. Schade.

Auch wenn der seinerzeit weit über die DDR hinaus als einer der wichtigsten Dramatiker anerkannte Müller in seinem 20. Todesjahr zum wenig gespielten Klassiker geworden ist, pulst es in seiner messerscharfen, betörenden Sprachmacht nämlich immer noch. Mehr als es die Inszenierung ihr vielleicht zutraut, wenn sie jene in Dauerkonkurrenz zur Hintergrundmusik von Kyrre Kvam setzt.

Wo man Müller hört, ist er neben wortgewaltig auch weitsichtig. Wenn Hamlet spricht, tut er das nicht mit dänischen, sondern gleich mit den "Ruinen von Europa" im Rücken. Der Mensch als "Datenbank", die er u. a. beschwört, ist heute nicht minder aktuell denn damals in der DDR. Mag sich der Abend auch nicht ganz zwischen Frische und Pose entscheiden können, ist Müller wegen alldem immer noch lesens- und, ja, auch sehenswert! (Michael Wurmitzer, 19.10.2015)