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Schwierige Verhandlungen in Istanbul: Angela Merkel und der türkische Staatspräsident Tayyip Erdoğan.

Foto: APA / EPA / Guido Bergmann

Istanbul/Wien – Erst gab es einen Stau wegen eines Verkehrsunfalls auf der Haliç-Brücke über das Goldene Horn, dann hielt der Konvoi der deutschen Kanzlerin zur Verwunderung der türkischen Protokolloffiziere an einer roten Ampel an. Vor allem aber wurde das Gespräch, das Angela Merkel am Sonntagnachmittag in Istanbul mit dem türkischen Übergangspremier Ahmet Davutoğlu führte, intensiver als geplant. Mit fast zwei Stunden Verspätung traten die beiden Regierungschefs vor die Presse. Ohne die Türkei gehe nichts, sagt die Kanzlerin. In der Flüchtlingsfrage werden beide Länder "noch enger zusammenarbeiten".

Davutoğlu war sichtlich zufrieden. Der konservativ-islamische Politiker, der derzeit eine Übergangsregierung bis zu den Wahlen am 1. November führt, kündigte die Öffnung neuer Kapitel in den stockenden EU-Beitrittsverhandlungen seines Landes an. Das hatte ihm die deutsche Kanzlerin versprochen. Kapitel 17 soll es nun werden: Wirtschafts- und Währungspolitik – ein Abschnitt, der gewöhnlich erst zum Ende der Beitrittsverhandlungen geöffnet wird.

Rücknahmeabkommen

Davutoğlu nannte noch vier weitere Kapitel (23, 24, 26 und 31), die zur Verhandlung anstehen sollen. Sie sind nicht wegen des Einspruchs Zyperns, Frankreichs oder der EU insgesamt suspendiert: Justiz und Grundrechte; Justiz, Freiheit und Sicherheit; Bildung und Kultur; Außen- und Sicherheitspolitik. Die Beitrittsverhandlungen laufen schon seit zehn Jahren.

Merkel zeigte sich auch aufgeschlossen für eine höhere Geldhilfe als die bisher von Brüssel angebotenen drei Milliarden Euro. Sie unterstützte auch eine schnellere Aufhebung der Visapflicht für die Türken. Davutoğlu wünschte sich dafür den Juli 2016 als Termin; parallel dazu würde die Türkei dann das Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen anwenden; es wurde 2013 unterzeichnet und verpflichtet Ankara, Flüchtlinge zurückzunehmen, deren Asylantrag in der EU abgelehnt wurde. Für die syrischen Flüchtlinge, die nach Deutschland und in andere EU-Staaten strömen, wird anderes überlegt: Die Türkei könnte zu einem "sicheren Drittstaat" erklärt werden. Dann könnte Griechenland Flüchtlinge sofort wieder in die Türkei abschieben. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der Präsident des Europaparlaments Martin Schulz schlugen dies bereits vor.

EU-Bericht erneut verschoben

Merkels Besuch in Istanbul kam nur zwei Wochen vor den vorgezogenen Parlamentswahlen in der Türkei, was ihr erhebliche Kritik in Deutschland einbrachte. Die formal von Davutoğlu geführte konservativ-islamische Partei AKP hatte bei der Wahl im Juni erstmals nach zwölf Jahren ihre absolute Mehrheit verloren. Merkel traf zunächst Davutoğlu, der als Regierungschef ihr Gegenüber ist. Davutoğlu wird in der Türkei jedoch derzeit als einflusslos und nicht entscheidungsfähig angesehen. Die Macht hält – anders als es die Verfassung vorsieht – Staatspräsident Tayyip Erdoğan in Händen. Er empfing Merkel am späten Nachmittag in Istanbul.

Mit Blick auf die Flüchtlingskrise und eine Übereinkunft mit der Türkei verschob die EU-Kommission die Vorlage ihres diesjährigen Fortschrittsberichts ein weiteres Mal auf die Zeit nach den Wahlen. Kritisiert wird dieses Mal erneut der Druck auf die Medien. (Markus Bernath, 18.10.2015)