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Kandidatin Henriette Reker wurde bei dem Anschlag schwer verletzt.

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Reker wird unter anderem von der CDU unterstützt.

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Galgen bei der Pegida-Demo vergangene Woche.

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Köln – Einen Tag nach dem Mordanschlag auf die Kölner Sozialdezernentin Henriette Reker ist die parteilose Politikerin zur neuen Oberbürgermeisterin gewählt worden. Die 58-Jährige setzte sich am Sonntag mit 52,66 Prozent der Stimmen gleich im ersten Wahlgang gegen sechs Konkurrenten durch. Sie gewann mit deutlichem Abstand vor dem SPD-Kandidaten Jochen Ott und ist die erste Frau auf dem Chefsessel im Kölner Rathaus.

Polizei: Mutmaßlicher Täter nannte fremdenfeindliche Motive

Am Samstag war Reker bei einer Wahlkampfveranstaltung von einem 44-Jährigen mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt worden. Ein Richter erließ inzwischen Haftbefehl wegen versuchten Mordes gegen den mutmaßlichen Täter, der laut Polizei fremdenfeindliche Motive nannte. Reker ist in Köln auch für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Bei der Wahl wurde sie von CDU, FDP und Grünen unterstützt.

Die behandelnden Ärzte teilten am Sonntagabend mit, dass sich Rekers Gesundheitszustand positiv entwickle. Sie müsse jedoch in stationärer Behandlung bleiben, sagte ein Kliniksprecher. "Der Heilungsverlauf nimmt bei einer Verletzung dieser Art üblicherweise eine gewisse Zeit in Anspruch."

Psychologisches Gutachten nennt Festgenommenen "voll schuldfähig"

Ein psychologisches Gutachten ergab, dass der mutmaßliche Angreifer bei seinem Anschlag auf einem Wochenmarkt voll schuldfähig war. Das teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Nach Äußerungen am Tatort hatte es daran zunächst Zweifel gegeben.

Der deutsche Inlandsgeheimdienst hat auch neue Erkenntnisse zu dem Attentäter publik gemacht. Dieser war demnach nur eine Randperson im rechtsextremen Lager.

Der 44 Jahre alte Mann sei in den vergangenen Jahren "ab und zu Mal im Internet aufgetaucht, aber er war eher eine Randperson in diesem Bereich", sagte der Chef des Verfassungsschutzes (Inlandsgeheimdienst) des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Burkhard Freier, am Montag im WDR-Hörfunk.

In den 1990er-Jahren habe es Hinweise gegeben, dass sich der Mann der rechtsextremen Szene, insbesondere der inzwischen verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeitspartei (FAP) anschließen wollte. Es wurde Haftbefehl wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung erlassen.

Pegida als Katalysator

Der Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke wies im Gespräch mit dem Kölner "Express" auf einen möglichen Zusammenhang zwischen den fremdenfeindlichen Bewegungen der letzten Monate und derartigen Taten hin: "Pegida war der Katalysator für eine neu entstandene Stimmung der Verrohung, für eine Schwemmung der Ressentiments und eine Absenkung der Hemmschwelle. Durch diese Stimmung werden Taten wie in Köln gefördert."

Insgesamt waren mehr als 800.000 Menschen in Köln aufgerufen, zur Wahl zu gehen. Die Wahlbeteiligung lag bei 39,7 Prozent. 2009 stimmten 49,1 Prozent ab, damals wurde mit SPD-Mann Jürgen Roters jedoch nicht nur ein neuer Oberbürgermeister gewählt, gleichzeitig stand auch die Kommunalwahl auf dem Programm.

Wie in anderen Kommunen im Bundesland Nordrhein-Westfalen sollte auch in Köln eigentlich schon Mitte September gewählt werden. Die Bezirksregierung hatte aber die Stimmzettel beanstandet, das Votum wurde verschoben.

CDU-Politiker Bosbach: Ton wird rauer

Der scheidende Oberbürgermeister Roters rief zu Standhaftigkeit auf. "Es geht jetzt darum, dass wir uns nicht unterkriegen lassen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Diskussion über Flüchtlinge in Deutschland werde heftiger, immer häufiger würden Asylwerberheime angegriffen. "Wir müssen alle gemeinschaftlich darauf achten, dass das Klima des Zusammenlebens nicht beschädigt wird", so Roters.

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach beklagte eine Zunahme von Angriffen auf Politiker. "Ich bin seit 43 Jahren in der Politik, seit 21 Jahren im Bundestag. Ohne zu dramatisieren: Der Ton wird rauer. Es hat immer wieder Beleidigungen oder Drohungen gegeben, aber nicht in einer solchen Massivität", sagte er dem Kölner "Express" vom Montag.

"Verachtenswert und abscheulich"

Der Flüchtlingskoordinator der deutschen Regierung, Peter Altmaier (CDU), rief zum Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit auf. "Der Anschlag ist verachtenswert und abscheulich", sagte der Kanzleramtsminister den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Auch wenn wir die genauen Hintergründe noch nicht kennen: Wir müssen uns zu jedem Zeitpunkt deutlich abgrenzen von jeder Form von Ausländerfeindlichkeit und Gewalt."

"Pegida senkt die Hemmschwellen dafür, dass aus Worten Taten werden", sagte Justizminister Heiko Maas. Vertreter aller deutschen Bundestagsparteien riefen zum gemeinsamen Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit auf. Unterdessen verdichteten sich die Hinweise auf Kontakte des 44 Jahre alten Täters in die rechtsextreme Szene. Die am Hals schwer verletzte Reker war nach einer Notoperation auf dem Weg der Besserung.

"Rhetorische Brandstiftung"

Der Pegida-Bewegung gehe es um rhetorische Brandstiftung, sagte Maas der Funke Mediengruppe laut Vorausbericht. "Das sind doch längst keine besorgten Bürger mehr, die da jetzt Galgen und Hitlerfratzen hinterher laufen", erklärte der SPD-Politiker mit Blick auf die für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel bestimmte Galgenattrappe bei einer Pegida-Demonstration in Dresden.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber forderte die Bürger auf, sich gegen Aufrufe zur Gewalt zu wehren. "Das gilt für Galgen bei Pegida-Kundgebungen genauso wie für eine Guillotine bei der Demo gegen das Freihandelsabkommen", sagte er der Zeitung "B.Z.".

"Harte Rechtsextremisten"

Innenminister Thomas de Maizière warnte in ungewöhnlich scharfen Worten vor Pegida. "Inzwischen ist es völlig eindeutig: Diejenigen, die das organisieren, sind harte Rechtsextremisten", sagte er am Sonntag in der ARD. "Sie bezeichnen Asylbewerber pauschal als Verbrecher, alle Politiker als Hochverräter. Das ist fernab jedes demokratischen Konsenses."

Die Bürger rief er dazu auf, sich klar von Pegida abzugrenzen: "Bleiben Sie weg von denen, die diesen Hass, dieses Gift in unser Land spritzen." Jeder, der dorthin gehe, müsse wissen, dass er Rattenfängern hinterherlaufe. Der Anschlag auf Reker sei eine entsetzliche Tat gewesen. Seit Anfang des Jahres sei die Zahl der Angriffe auf Asylwerber und Flüchtlingsheime gestiegen, im August habe es gegenüber dem Vorjahresmonat eine Verdreifachung gegeben. (APA, 19.10.2015)