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Fourie Du Preez, Entscheider.

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Das Match in Twickenham verlangte den Spielern alles ab, manchen zu viel: Scott Baldwin (Wales) muss angeschlagen vom Feld.

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Was soll man dagegen tun (Brodie Retallick, Lock, 204 cm, 120 kg)?

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Place du Capitole, Toulouse, Frankreich.

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Wien/Twickenham/Cardiff – Man war einander nicht grün, oder wie der Anglophone treffender formuliert: not much love lost zwischen Südafrika und Wales. Begründet lag das in einem Testmatch der beiden Teams aus dem November 2014 in Cardiff. Der Termin lag außerhalb des offiziellen Länderspielfensters, Südafrika hatte einige seiner besten Leute daher an ihre Klubs freigegeben. Man ging davon aus, dass die Waliser ähnlich handeln würden. Pustekuchen! Wales kreuzte mit seinem ersten Anzug auf und bezwang die Gäste am Ende knapp mit 12:6. Die Südafrikaner sahen sich übervorteilt, eine schwere Verletzung von Kapitän Jean de Villiers verschlechterte die ohnehin schon düstere Stimmung weiter. In der 109 Jahre währenden Vergleichsgeschichte der beiden Teams hatten die Springboks bis zu diesem 29.11. erst einmal gegen die Waliser verloren. Man sann auf Revanche.

Die Gelegenheit dafür kam nun also am Samstag im WM-Viertelfinale zu Twickenham. Im Lager des zweifachen Weltmeisters wurde die Favoritenrolle als Selbstverständlichkeit betrachtet, die japanische Irritation war vollständig abgeklungen. Südafrikanische Medien betrachteten die Runde der letzten Acht ohnehin in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des darauf folgenden Krachers gegen Neuseeland. Dass es diesen geben würde, stand ziemlich außer Frage.

Hart auf hart

Nicht ganz zu unrecht. Wales hatte sich im bisherigen Turnierverlauf zwar als kämpferisch starke Einheit erwiesen, welche durch immensen Willen und Teamgeist zu beeindrucken wusste. So gelang ein dramatischer, bereits jetzt legendärer Erfolg gegen den Erzrivalen England, so setzte man sich in einer engen Auseinandersetzung mit Fidschi durch. Gleichzeitig konnte dem Beobachter aber ein Mangel an spielerischer Kreativität, wie auch taktischer Variabilität nicht verborgen bleiben. Zweifellos lag das auch am verletzungsbedingten Ausfall einer ganzen Latte an Schlüsselspielern.

Schon gegen die Leichtgewichte aus Uruguay kamen die Waliser eher durch schiere physische Überwältigung des Gegners zu ihren vielen Punkten. Im letzten Gruppenspiel gegen Australien erreichte diese Manier ihr Limit: die Mannschaft von Cheftrainer Warren Gatland fand trotz deutlicher Überlegenheit kein Mittel, um die grimmige Verteidigungslinie der Wallabies (6:15) auszumanövrieren. Wie sollte dies erst gegen Südafrika gelingen, einem Widersacher, der im Fach Körperlichkeit – völlig zurecht – als unübertroffener Streber des Weltrugby gilt?

Südafrika vs. Wales: Höhepunkte.
World Rugby

Sich in beinharten Duellen Mann gegen Mann im Breakdown immer wieder das Momentum erkämpfen, um so die Kontrolle über das Geschehen zu gewinnen. Das würde der Schlüssel sein. Nicht unbedingt ein Job, dem man jemandem neiden sollte. Wobei: Herren wie Schalk Burger, Jannie Du Plessis oder Lood de Jager entwickeln für diese Aspekte ihres Sports ja einen ganz besonderen Gusto.

Überraschung

Doch dann entwickeltes sich das Geschehen in Twickenham ohnehing flüssiger und weniger sturmlastig als erwartet. Wales startete vor 79.572 Zuschauern offensiv, kam über George North der südafrikanischen Trylinie ziemlich nahe. Die ersten Punkte schrieben aber die Südafrikaner an, der junge Flyhalf Handre Pollard verwandelte drei Penalties. Dan Biggar konterte zunächst mit gleicher Münze.

Der walisische Spielmacher war es dann auch, der wenig später einen Try von Gareth Davies wunderbar vorbereitete (18.). Es ging Schlag auf Schlag: 22 Punkte in den ersten 20 Minuten. Die Waliser behaupteten sich gut, keines der beiden Teams konnte sich einen klaren Vorteil erarbeiten. Im Finish der ersten Halbzeit zollten die Spieler der expansiven, schnellen Gangart etwas Tribut. Die Struktur zerfasterte, die Kickhäufigkeit stieg.

Biggar hatte die Chance mit einem weiteren Penalty für die nicht unwichtige Pausenführung zu sorgen – der bisher erfolgreichste Kicker des Turniers setzte den Ball jedoch an die Stange. Wenige Sekunden später aber doch: Drop-Goal Biggar, 13:12 Wales. Durchatmen.

Boks drücken

Der Wiederbeginn war ab der ersten Sekunde wieder von höchster Intensität gekennzeichnet. Die Springboks schalteten, kaum zu glauben, noch einen weiteren Gang hinauf. Wales musste nun standhalten, konnte den Belagerungszustand kaum einmal unterbrechen. Es war nun doch ein Abnützungskampf geworden. Pollard aber verhaute erst einmal zwei Penalties und die Springboks schafften es nicht, ihre Aktionen zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Wales behauptete lange eine knappe Führung.

Sieben Minuten vor Schluss wurde ein fassungsloser Biggar wegen einer möglichen Kopfverletzung vom Feld geschickt, gleich darauf die Entscheidung: Duane Vermeulen schüttelte ein atemberaubendes, hinter seinem Rücken backhand appliziertes Zuspiel auf Fourie Du Preez aus dem Ärmel. Plötzlich öffnete sich eine Art Wurmloch – und der Kapitän war auf und davon: Try (74.). Südafrika setzte sich mit 23:19 durch, der Weg der tapferen walisischen XV ist zu Ende.

Angstgegner a. D.

Im zweiten Match des Tages schlugen sich die Franzosen gegen Neuseeland gar nicht einmal schlecht. Sie hätten aber das Spiel ihres Lebens liefern müssen, um im Millennium Stadium von Cardiff eine Chance zu haben. Viel zu gut war der Titelverteidiger, der sich im Vergleich zur Gruppenphase wie verwandelt zeigte. Ein bisschen musste es ja befürchtet werden, zu lange schon unterschreitet die Auswahl von Trainer Philippe Saint-André ihre eigenen Standards.

Neuseeland startete wie aus der Pistole geschossen, Frankreich wehrte sich in der Neuauflage des Endspiels von 2011 seiner Haut so gut es konnte. Les Bleus probierten einiges, standen gegen einen Gegner, der schonungslos all seine Wucht zur Geltung brachte, aber auf verlorenem Posten. Zwei von insgesamt neun Tries der Neuseeländer seien herausgehoben. 23. Minute: Nehe Milner-Skudder tanzt durch die französischen Reihen, die er allesamt auf falsche Füße stellt. 38. Minute: Julian Savea macht seinem Spitznamen "der Bus" alle Ehre, drei Verteidiger prallen wirkungslos an ihm ab.

Die Franzosen gingen noch einmal mit viel Engagement in die zweite Halbzeit, es sollte zumindest alles Mögliche probiert werden. Dabei übertrieb man es zwischendurch ein bisschen: Einmal fand sich die Faust von Louis Picamoles im Gesicht von Richie McCaw, als der den Ball nicht freigeben wollte. Mit einem "Off you go, please", schickte der höfliche Referee Nigel Owens die Nummer 8 für zehn Minuten auf die Sünderbank.

Die All Blacks brauchten hernach nicht lange, um mit ihrem fünften Versuch die Partie endgültig aus jeder französischen Reichweite zu punkten. Jerome Kaino erledigte das. In der Folge brach das französische Team vollends auseinander. Endstand 62:13, noch nie haben die Gallier in einem internationalen Vergleich so viele Punkte hinnehmen müssen. Wer soll dieses Neuseeland stoppen? Vielleicht Südafrika, der Gegner im Halbfinale. (Michael Robausch, 17.10. 2015)