Beim vierten Sondertreffen in diesem Jahr, das erneut ganz der Bewältigung der Flüchtlingskrise gewidmet war, hätten vor allem "ganz praktische Fragen" zur Umsetzung und Finanzierung des im September fixierten Maßnahmenpakets geklärt werden sollen. Dazu gehörte etwa, wie Registrierung und Weiterverteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten an den "Hotspots" – den Ersterfassungsstellen in Griechenland und Italien – in Zukunft laufen.

Auf 160.000 Personen hatte man sich im Prinzip geeinigt. Aber erste Erfahrungen zeigen, dass dies nicht so einfach ist – nicht nur, weil die meisten ost- und ostmitteleuropäischen Staaten nicht mitmachen wollen. So sollten vergangene Woche 40 Asylwerber aus Eritrea nach Schweden geflogen werden. Aber mehr als die Hälfte war unauffindbar. Oder: Ein Transport von sechs Flüchtlingen nach Luxemburg (dem pro Kopf reichsten Land der Union) scheiterte daran, dass diese nur nach Deutschland wollten.

Die Visegrád-Staaten bestanden beim Gipfel darauf, dass sie beim Grenzschutz im offenen Schengenraum extra vorgehen.

Ungarn schließt Grenze

Ungarns Premier Viktor Orbán kündigte an, die Grenze zum EU-Partnerland Kroatien zu schließen (das Schengen nicht angehört) – eine Drohung, die er am Freitag im nationalen Sicherheitsrat prompt wahrmachte.

Vor allem Deutschland, wo täglich tausende Flüchtlinge illegal ankommen, hatte beim Gipfel mit Unterstützung des österreichischen Kanzlers Werner Faymann auf mehr Tempo gedrängt. Als die Staats- und Regierungschefs nach neun Stunden Verhandlungen in der Nacht auf Freitag vor die Presse traten, konnten sie aber nur wenig vorweisen. Faymann sagte, es werde wohl "noch fünf bis zehn Gipfel brauchen", bis man sich in der Frage der Aufteilung finde. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich ernüchtert vom "harten" Widerstand der Osteuropäer: "Sie fühlen sich schlecht behandelt, und ich verstehe noch nicht, warum", sagte sie. Es gehe um "sehr grundsätzliche Dinge".

Am meisten umstritten ist der Vorschlag der EU-Kommission über einen permanenten Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge auf alle EU-Staaten. Angesichts der hohen Zahl an Ankommenden wird das Kontingent von 160.000 bald ausgeschöpft sein. Es stellt sich die Frage, wie es an den Erstaufnahmestellen dann weitergehe, ob dort auch Lager errichtet werden sollen. "Ohne die Kooperation mit der Türkei werden die Hotspots nicht funktionieren", bilanzierte Merkel. Man beschloss im Grundsatz einen radikalen Kurswechsel in den Beziehungen zur Türkei, um über eine Kooperation zur Sicherung der gemeinsamen EU-Außengrenze reden zu können.

Erneut verschoben wurden die Wünsche des britischen Premierministers David Cameron, über EU-Reformen zu reden. (Thomas Mayer aus Brüssel, 17.10.2015)