Wandle dich, nur so bleibst du du selbst.

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"Mainstream" gilt dem Hipster als der Quell aller Banalität.

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Vielleicht haben sie den Bart gestutzt, die Stirnfransen in den Dutt gegelt, den Jutesack gegen die Planentasche getauscht. Jedenfalls sind sie nicht verschwunden, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schon forderte ("Schluss mit dem Hipster-Spuk").

Sie sind da. Auch wenn neues Wording wie "Yuccies" (Young Urban Creatives) im Umlauf ist. Der Hipster und die Hipsterin leben – und es ist stark mit ihnen zu rechnen. Wie jetzt? Als Model für Bartschneidgeräte oder als Vegan-Blogger auf Indie-Rockevents?

Weit gefehlt, sagt Jugendkulturforscher Philipp Ikrath in seinem aktuellen Buch zum Hipster: "Denn als Vertreter des herrschenden Weltbilds wird er über kurz oder lang die einflussreichsten Positionen in Politik, Wirtschaft und Kultur einnehmen. Sein Weltbild wird dann nicht mehr das einer mittelgroßen Subkultur sein, sondern das der Elite."

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Als ein Schaumgeborener des Neoliberalismus kann er alles, was die gesellschaftliche Ordnung, was die performative Ökonomie verlangt: Er ist wandlungsfähig und adaptiv. Also, vergiss den Vollbart, das aus der weißen US-Unterschicht der 1950er-Jahre entlehnte Versatzstück. Hipster gehen auch ohne ihn in die große Zukunft. Denn das in den oberen Schichten angesiedelte und aus ihnen stammende Hipstertum ist nicht, wie frühere Jugendmilieus, ein Set aus fixen Regeln, Werten, Normen, Konventionen, sondern all das ist fließend und wird laufend angepasst. Biegen statt brechen.

Die Leitfigur des angebrochenen Hipster-Zeitalters ist längst nicht mehr der gütige Patriarch, dessen Gnade bis an die Bahre begleitet, nicht mehr der allmächtige Wirtschaftskapitän oder der als egomanischer Nutznießer des Neoliberalismus erscheinende Yuppie-Banker.

Es ist der Start-up-Unternehmer. Der Start-up-Hype ist ja längst da und abgebildet in der Medienwirklichkeit. Etablierte Unternehmen versuchen verzweifelt, Versatzstücke daraus in ihre Kulturen zu integrieren. Und wenn es nur die Rutsche im Büro ist.

Deswegen sieht Ikrath das scheinbar wahllose Kunterbunt in Stil und Lebensart der Hipster nicht als Statement gegen, sondern als Vorbote des neuen Zeitgeists. Dabei scheint es, als wäre längst abgerechnet worden mit diesen eigenartig tätowierten jungen Leuten, mit diesen jungen Männern und ihren Bärten.

Hipster-Bashing

Hipsterin und Hipster: diese Maturanten oder Studierenden mit intellektuellem Habitus in Skinny Jeans, ironischen T-Shirts, allen möglichen Retroklamotten und Vintage-Versatzstücken, diese unkritischen Konsumzombies – so werden sie seit gut zwei Jahren verspottet, geächtet. Elitäre Snobs, oberflächliche Chillaxer und Eventfans, die "irgendwas in den Medien oder in der Kreativindustrie" machen wollen, heißt es anderswo, wenig wertschätzend. Hipstern wird alles zugeschrieben, was zu nichts Gutem führen kann.

Medial werden sie abgelehnt, fast schon wie eine extrem gefährliche Gruppe. Als Zentrifuge allen Übels wurden sie auch im deutschen Feuilleton, etwa in der "Süddeutschen", positioniert. Hipster seien mit ihrer Besiedelung bestimmter Stadtteile schuld an der Verdrängung alteingesessener urbaner Bevölkerung, an der Gentrifizierung, heißt es da etwa. Sogar den Fußball müsse man vor Hipstern retten, weil dieser neue intellektuelle Fantypus ihn in seiner Ursprünglichkeit zerstöre. Und erst die Gastronomie: Mit ihren provisorisch wirkenden, bioversetzten Pop-up-Restaurants auf Europaletten-Mobiliar könnten sie die autochthone Esskultur vernichten. Und ein ganz praktischer Einwand gegen ihr Lieblingsspielzeug: diese Fixies! Fahrräder ohne Gangschaltung und Bremse, dafür umso teurer.

Im Internet wartet auf solche Individualität rundum Ungemach: Blogs, Videos, Schmähschriften, Youtuber wie Y-Titti machen Geld mit Hipster-Bashing à la "blödes Hipster-Gelaber".

Und trotzdem, der Hipster oder die Hipsterin hat sich so gekonnt eingeschwungen in diese Welt, gleich einem großen Kaufhaus. Leidbefreit kann er und sie damit über "langfristige Versprechungen" lächeln, bewegt sich perfekt inszeniert in der Ästhetik der Webgesellschaft.

Mögen rings um ihn die Weltverbesserer an ihren Illusionen zerschellen – einen Hipster hält so etwas nicht auf. Rebellion ist nicht zu erwarten – distanzvolle Ironie hüllt den Antikonformismus ein, der sich vorwiegend kulturell äußert. "Mainstream" gilt ihm als der Quell aller Banalität – zu diesem gilt es unbedingt Abstand zu halten. Das lebt der Hipster den anderen sehr gekonnt vor.

Markt und Machtanspruch

Ikrath: "Seine Behauptung, unkonventionell zu sein, ist deswegen als ein klarer Machtanspruch zu verstehen. Indem er proklamiert: Ich bin anders, sagt er damit gleichzeitig auch, dass er den Ruf der Zeit gehört, verstanden und verinnerlicht hat." Soll heißen: Hinter dem Hipstertum verbergen sich also Herrschaftsansprüche qua sozialer Herkunft. Das macht Angst. Jedenfalls haben die Hipster ihre Ressentiments gegen das Populäre offenbar aus dem bildungsbürgerlichen Elternhaus mitgenommen und angepasst. Stichwort Independence.

Noch ein Detail, das belegen mag, warum Hipstertum nicht von gestern ist: Zwar findet eine Abwendung statt von allem, was vom "Markt" geadelt wird, allerdings nur scheinbar – denn als Maßstab wird er anerkannt, der "Markt", sonst würde nicht gegründet, gestart-upt und dann hoffentlich verkauft. Obwohl: Planen, vorausschauen, hamstern, vorbauen? Das ist nicht Sache des Hipstertums. Menschen dieses Typus wissen mittlerweile, dass solche Scheinsicherheiten nichts als Chimären sind.

Deswegen braucht der Hipster auch kein schön eingerichtetes beständiges Eigenheim – wozu auch? Wozu den Umzugskarton ausräumen, wenn die Weltreise, der Job unter Palmen oder irgendein Auslandssemester jederzeit kommen können. Und sogar kommen sollen. Eines haben sie jedenfalls abgelegt, und das hilft: den großen Glauben an die Vergangenheit, aus der sich mit Bestehendem und Beständigem eine Zukunft bauen lässt.

Das Retro-Faible im Hipstertum sieht Ikrath auch deswegen nicht als nostalgische Note, sondern als "ahistorische Gleichzeitigkeit". Hipster wollten nicht etwas anderes für alle, sagt er, sondern mehr für sich von dem, was die jetzt Herrschenden schon haben – vielleicht ein wenig adaptiert.

Wandel, sagt Autor Ikrath, sei der Imperativ der Gegenwart. Nebst permanenter Selbstoptimierung heiße es: Wandle dich, nur so bleibst du du selbst im hippen Universum. Sei heute die, morgen jene. Anderssein als immerwährender Zustand, bis ans Ende.

Change war gestern, morgen ist Hipster. Und der Nachschub sitzt schon in den Oberstufen.(Karin Bauer, 17.10.2015)