Der eichenholzverkleidete Konzertsaal in St. Christoph am Arlberg, versteckt im Untergrund unter Nobelhotels, Skiliften und vier Metern Schnee.

Foto: Dietmar Mathis
Foto: Dietmar Mathis

Wintersportorte in der Nebensaison sind kein schöner Anblick. Erst recht nicht im Oktober, in der gesichtslosen Zeit zwischen sommerlichen Almwiesen und weißer Wedelfreude: Geschlossene Hotelburgen inmitten leerer asphaltierter Parkplätze, eingebettet in gatschige Grasreste und kreuz und quer herumstehende Skiliftinfrastruktur, die jetzt ihr ganzes landschaftszerstörendes Gesicht zeigt.

St. Christoph am Arlberg, kurz unterhalb der Passhöhe zwischen Tirol und Vorarlberg gelegen, ist ein solcher Wintersportort. Nur aus einer Handvoll Großhotels bestehend, durchschlängelt von der Passstraße, auf der sich, da der Arlbergtunnel wegen Renovierung gesperrt ist, tschechische Lkws und genervte Kleinbusfahrer quälen. Mehr als eine Million Touristen besuchen die Bergregion zwischen St. Anton, Lech und Zürs jährlich, doch Anfang Oktober ist nichts von ihnen zu sehen, auch wenn der erste, noch spärlich dünne Schneefall leise die Saison ankündigt.

Bis in die 1960er-Jahre war der Arlberg eine Sommerdestination, dann begann die Vermarktung des Winters in großem Stil. Heute gelte es, diese Zwangskopplung aufzubrechen, sagt Florian Werner. Werner ist Betreiber des Fünf-Sterne-Hotels Hospiz am Arlberg, das als erstes Haus am Ort auf eine 600-jährige Geschichte zurückblickt. Ein wuchtiger, mittelalterlich wirkender Kasten, mit späteren, klobig auswuchernden Zubauten aus den Siebzigerjahren, gefüllt mit durchrustikalisierten Restaurantstuben. In einer von diesen steht Werner, während er vom Re-Branding erzählt. Ein wacher, immer etwas unruhig wirkender Mittvierziger fernab jeder schmerbäuchigen Hoteliers-Onkeligkeit, dessen Ideen eher nicht von der üblichen "Bauen wir halt einen Wellnesstrakt dazu"-Machart sind. Florian Werner hat sich in den Kopf gesetzt, eine Kunsthalle und einen Konzertsaal zu errichten, in einem Skiort auf 1765 Metern Seehöhe.

Kunst als Bauchentscheidung

Die Kunst habe ihn zufällig erwischt, erzählt der Hotelier, als er im Jahr 2006 ein Hochzeitsgeschenk für seine Schwester gesucht und kurzerhand zum Pinsel gegriffen habe. Die eigene Malerei wich nach einer Weile der Förderung anderer Künstler, seit 2008 beherbergt das Hospiz am Arlberg junge Artists in Residence, beraten ließ man sich von der Wiener Agentur section.a. Ausgestellt wurde die sich schnell ansammelnde Kunst im Hotel, musste aber auf die Befindlichkeiten erholungsaffiner Gäste Rücksicht nehmen, die ungern von unerwarteten "Interventionen" verschreckt werden.

Die Entscheidung, der Kunst eine eigene Halle zu bauen, sei bei ihm, wie vieles, "aus dem Bauch heraus" entstanden, sagt Florian Werner. Dass bei der Planung der Kunsthalle irgendwann noch ein Konzertsaal ins Programm geriet, mit einem Konzept für 150 Veranstaltungen pro Jahr, sei ebenso keine Notwendigkeit, sondern eine, genau, Bauchentscheidung gewesen. Und eine Prise Standortpolitik: "Es gibt keine Kultureinrichtung dieser Art zwischen Innsbruck und Feldkirch."

Eine Rolle mag es auch gespielt haben, dass die zwei Häuser mit 17 Luxusapartments, die vor dem Hotel auf einem der letzten Bauplätze im Ort entstehen, nur genehmigt wurden, wenn gleichzeitig ein Mehrwert für die Allgemeinheit entstünde. Das "arlberg1800" getaufte Kunst-Konzert-Konglomerat und die obendrauf stehenden Apartmenthäuser kommen zusammen auf rund 26 Millionen Euro Baukosten. Nach einem nüchtern kalkulierten Businessplan klingt das nicht, schon eher erinnert es an Werner Herzogs Film Fitzcarraldo, in dem sich Titelheld Klaus Kinski in den Kopf setzt, ein Opernhaus im Amazonas-Dschungel zu bauen. Dass die Konzerthalle jetzt einige Wochen vor der Kunsthalle fertig wird, passt dann auch in die von Zufällen und Glücksfällen geprägte Baugeschichte.

Sinnliche Rundungen

"Kommen Sie, wir gehen jetzt nach unten!", ruft Florian Werner und eilt den Besuchern voran. "Unten" liegt vier Meter unter dem ehemaligen Busparkplatz, und dort steht man zunächst vor einer riesigen Blumenvase, die auf einer Kabeltrommel steht. Ein selbstironischer Deko-Kommentar zum Baustellencharme der Eröffnungsfeierlichkeiten, bei denen im Foyer noch die Kabel von der Decke hängen.

Die 250 Quadratmeter große Konzerthalle, ausgelegt für 213 Besucher, darf schon im vollendeten Zustand bewundert werden. Ausgekleidet in sanft gebogene Eichenholzlamellen, überspannt von einer nach oben auf den Vorplatz hinaus schwingenden Decke erinnert sie mehr an das Innere eines Schiffes als an eine Skihütte. Auch die Wände des Eingangsbereichs, der Bar und der Kunsthalle biegen sich um die jeweiligen Ecken. Kein Zufall, wie Architekt Jürgen Kitzmüller erklärt: "Diese Rundungen waren mir sehr wichtig. Einerseits hat Kunst für mich etwas Weiches, Sinnliches, andererseits entsteht so eine intuitive Wegeführung, für die man keine Hinweisschilder braucht."

Auch wenn sich im Hochgebirge die Assoziation zum Höhlensystem anböte – der Arlberg-Bahntunnel verläuft 400 Meter unter unseren Füßen – soll das arlberg1800 keine Kelleratmosphäre verbreiten, sagt Kitzmüller. Sowohl der Konzertsaal als auch die acht Meter hohe Kunsthalle nebenan halten über Fenster Kontakt mit der Außen- und Bergwelt, und die Skitouristen können vom Gehweg aus einen Blick auf Kunst und Klavier werfen.

Kitzmüller, der vor allem in der Region um den zahlungskräftigen Skiort Lech Hotels, Chalets und Shops mit angenehm unzipfelmützigen Holzinterieurs realisiert hat, ist auch beim arlberg1800 ein dauerhaft wirkendes Innenraum-Ensemble gelungen, das sich diskret unter dem Vorplatz versteckt – und im Winter zusätzlich unter bis zu vier Metern Schnee. Eine zu diesem Grenzort passende Dosis Vorarlberger Tischlerintelligenz als Gegenmittel zur Tiroler Vorliebe für das Überladene.

Baustellenatmosphäre hin oder her, den Herrschaften ist bei der Eröffnung die Erleichterung anzumerken, die zahlreichen Hindernisse überwunden zu haben, allen voran eine mehrmals vor dem Aus stehende Finanzierung. Die Banken seien eben immer misstrauisch bei Krediten für den Tourismus, erzählt der Hotelier, und bei Fitzcarraldo-Ideen wie dieser erst recht. Doch wie es auf dem Berg so ist, jemand kennt jemanden, und der Jemand ist ein Banker – und dank dieser bei der Eröffnung emotional zelebrierten Männerfreundschaften erreichte die Seilschaft schließlich den Gipfel, die Hochkultur war gerettet. "Wir haben keine Feldforschung gemacht, ob die Welt eine Kunsthalle am Arlberg braucht", sagt Hotelier Florian Werner fast trotzig, "wir öffnen die Konzerthalle auch, wenn nur zwei Besucher kommen." Doch Kunst ist schließlich, wie Oscar Wilde richtig anmerkte, "quite useless" – egal, ob sie im Moma oder neben einem Skilift stattfindet. (Maik Novotny, Album, 18.10.2015)