Finanzminister Hans Jörg Schelling hat sich am Mittwoch bei seiner ersten Budgetrede im Parlament für eine Abgabenbremse in der Verfassung für alle Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen ausgesprochen. Ohne diese Maßnahme habe die eigentlich schon versprochene Abschaffung der kalten Progression – also der schleichenden Steuererhöhung durch die Inflation – keinen Sinn.

Im STANDARD-Interview präzisiert Schelling, dass Gebühren künftig maximal mit der Inflation steigen sollen.

STANDARD: Sie schmücken Ihr erstes Budget mit einem strukturellen Nulldefizit, an das die Experten nicht glauben wollen. Schenken Sie den Menschen wirklich den reinen Wein ein, von dem Sie in der Budgetrede gesprochen haben?

Schelling: Der reine Wein ist mein Eingeständnis, dass wir kein echtes Nulldefizit schaffen – das gesamtstaatliche Defizit wird bei 1,4 Prozent liegen. Nimmt man aber, wie von der EU-Kommission verlangt, den strukturellen Wert her, bei dem Konjunktureinflüsse und Einmaleffekte herausgerechnet werden, dann werden wir die 0,5 Prozent erreichen. Die Experten kommen jedes Jahr mit ihrer Kritik, doch am Ende haben wir stets das Ziel erreicht.

Verunsicherung treibt die Leute zur FPÖ. Doch Wien hat schon auch gezeigt, dass die FPÖ bei Wahlen einen Deckel hat.
Foto: Cremer

STANDARD: Alle Jahre wieder kommen ÖVP-Finanzminister allerdings auch mit der Ankündigung der großen Verwaltungs- und Föderalismusreform daher. Warum soll Ihnen gelingen, woran Ihre Vorgänger gescheitert sind?

Schelling: Weil der Prozess nun völlig anders aufgesetzt ist. Wir machen das wie ein Projektmanagement: Es gibt Ziele, Terminpläne und Verhandlungsteams. Die Steuerreform ist das Beispiel, wie man so zu einem Ergebnis kommt.

STANDARD: Bei Reformen geht es meist um Machtinteressen, da wird es nicht nur auf den Prozess ankommen. Sie haben ja selbst die Interessenvertreter kritisiert ...

Schelling: Meine Botschaft ist: Seid Teil der Lösung und nicht des Problems! Die Ärztekammer lobbyiert gegen das Primärversorgungskonzept bei der Gesundheitsreform, die Wirtschaftskammer gegen die Registrierkassenpflicht und so weiter. Es gibt zu viele No-Gos. So kommen wir nicht weiter.

STANDARD: Sie fordern eine Abgabenbremse für die Gebietskörperschaften. Wie soll diese funktionieren?

Schelling: Wenn wir es schaffen, dass die Menschen dank einer Abschaffung der kalten Steuerprogression netto mehr in der Tasche haben, darf ihnen das Geld nicht an anderer Stelle wieder weggenommen werden – für Kanal, U-Bahn oder was auch immer. Mein Vorschlag: Gebühren dürfen maximal bis zur Inflationsrate erhöht werden, auch von Ländern und Gemeinden. Der Bund hält sich bereits an diese Vorgabe.

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STANDARD: Die kalte Progression wird also nur dann abgeschafft, wenn gleichzeitig eine Abgabenbremse kommt?

Schelling: Ja. Es ist nicht klug, das eine ohne das andere zu machen. Sonst wird den Leuten das Geld, das sie netto mehr haben, gleich wieder aus der Tasche gezogen.

STANDARD: Wie viel kostet die Abschaffung der kalten Progression?

Schelling: Ich rechne mit 400 Millionen im ersten Jahr. Wir wollen das Modell im nächsten Jahr beschließen und dann einsetzen, wenn die Entlastung durch die Steuerreform vom Effekt der kalten Progression wieder aufgefressen ist – also 2017 oder 2018.

STANDARD: Ab 2017 wollen Sie auch die Lohnnebenkosten um 1,3 Milliarden senken. Das bedeutet ein neues Sparpaket.

Schelling: Wir haben ja schon die Bremse bei den Verwaltungskosten gezogen. Ich gehe davon aus, dass wir kein Sparpaket brauchen, das bei den Bürgern ankommt. Der Staat hat genug Möglichkeiten, bei sich zu sparen.

STANDARD: Das ist doch ein Verkaufsschmäh. Wenn der Staat bei sich selbst spart, spüren die Bürger das oft sehr wohl in Form schlechterer Leistungen.

Schelling: Ein Gegenbeispiel aus meinem Haus: Durch den automatischen Steuerausgleich für Arbeitnehmer bekomme ich Personalressourcen frei. Mitarbeiter, die ich somit woanders und sinnvoller einsetzen kann.

STANDARD: Österreich wird 2016 eine Milliarde zusätzlich zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms ausgegeben, investiert aber wenig, um zu verhindern, dass sich Menschen zur Flucht genötigt fühlen. Das Budget für Entwicklungszusammenarbeit wird nun aufgestockt, liegt aber immer noch unter dem international definierten Ziel.

Schelling: Aber nur, weil eine unserer wesentlichsten Positionen nicht angerechnet wird: Die Republik übernimmt für über 800 Millionen Haftungen für pure Entwicklungshilfeprojekte, den Bau einer Schule etwa oder eines Brunnens. Ich könnte das verdoppeln – kein Problem. Wenn das anerkannt würde, wären wir flott bei den Zielen dabei.

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STANDARD: Ihre Budgetplanung akzeptiert einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit, ehe sie ab 2018 leicht sinken soll. Müsste die Regierung nicht viel mehr gegensteuern?

Schelling: Sie haben völlig recht. Ich kritisiere deshalb, dass wir eines der höchsten Arbeitsmarktbudgets Europas haben, aber das Geld nicht effizient ausgeben – von den AMS-Schulungen bis zu den Wiedereingliederungshilfen.

STANDARD: Das sind nachträgliche Reparaturversuche. Müsste der Staat jetzt nicht weit mehr investieren, um Jobs zu schaffen?

Schelling: Es liegt nicht am Geld, sondern an den Strukturen. Warum schaffen wir es etwa nicht, dass Österreicher in der Gastronomie oder Pflege tätig sein wollen? Wir brauchen ein ganzes Paket, nicht nur Kosmetik.

STANDARD: Steigende Arbeitslosigkeit wird den Aufstieg der FPÖ befeuern. Ihr Gegenrezept?

Schelling: Es ist die Verunsicherung, die Leute zur FPÖ treibt. Es liegt an der Regierung, entschlossen vorzugehen und Lösungen anzubieten. Daran werden wir gemessen. Dennoch: Wien hat schon auch gezeigt, dass es für die FPÖ einen Deckel gibt. (Gerald John, 14.10.2015)