So muss sich Ali Baba gefühlt haben, als sich das Felsentor öffnete und seine Augen genauso funkelten wie das Gold und die Edelsteine in der Schatzkammer. "Frankreich–Saudi-Arabien: Verträge über zehn Milliarden Euro!", frohlockte Frankreichs Premier Manuel Valls am Dienstag auf Twitter aus der saudi-arabischen Hauptstadt Riad, wo er eine Reihe von Wirtschaftsabkommen unterzeichnete. Darunter sind Aufträge für Patrouillenschiffe, Satelliten und Straßenbahnen, dazu französische Wasserbauprojekte in der Wüste und saudische Investitionen in französische Firmen.

Am meisten Freude bereitet Valls der Verkauf von 30 Super-Puma-Hubschraubern. Airbus fand dafür bisher kaum Abnehmer. Die Saudis sind hingegen zum größten Waffenkäufer der Welt aufgestiegen. Und damit der wichtigste Rüstungskunde Frankreichs. In nächster Zeit will Paris zudem einen noch größeren Fisch an Land ziehen: Saudi-Arabien verhandelt über den Kauf von zwei französischen Atomreaktoren der neuen Generation EPR. Lieferung und Unterhalt dürften sich zusammen mit zwei Dutzend anderen franko-saudischen Projekten, die derzeit noch in der Planungsphase stecken, sogar auf "mehrere Dutzend Milliarden" belaufen, wie ein Insider meint.

USA auf Distanz, Frankreich nicht

Die französische Diplomatie arbeitete seit drei Jahren auf dieses gewaltige Auftragsvolumen hin. Valls' offizieller Besuch war das 20. bilaterale Treffen seit dem Amtsantritt von François Hollande im Jahr 2012. Der französische Präsident weilte im Mai selbst in Riad und nahm dort sogar an einer Regierungssitzung teil. Das sehr politische Signal gelangte bis in die USA, die in letzter Zeit auf Distanz zu dem wahhabitischen Königreich gegangen sind. "Man hat den Eindruck, dass eine neue Achse zwischen Paris und Riad existiert", meint Jean-Paul Burdy von der Pariser Eliteschule Sciences Po. "Frankreich ist der unfreiwillige Nutznießer der zunehmend schwierigen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und den USA."

Mit anderen Worten: Paris springt in die Lücke, die Washington offen lässt. Auf der Strecke bleiben die stets hohen französischen Ansprüche an die Menschenrechte. Die französische Diplomatie, die auf der ganzen Welt – und gerne mit erhobenem Zeigfinger – für die Abschaffung der Todesstrafe kämpft, schweigt zu dem Umstand, dass Riad seit Jahresbeginn 130 Hinrichtungen vollzogen hat. Auf hartnäckiges Nachfragen Pariser Journalisten meinte Valls, er werde den Fall des 21-jährigen Demonstranten Ali al-Nimr in Riad zur Sprache bringen. Öffentlich geschah das nicht.

Umdenken in Syrien-Politik

Geopolitisch nimmt Frankreich womöglich noch mehr Rücksicht auf die Saudis. Viele wunderten sich, dass Außenminister Laurent Fabius in den iranischen Atomverhandlungen eine noch härtere Position als die US-Regierung vertrat. Ebenso kompromisslos gibt er sich nun in der Frage, ob mit dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu verhandeln sei – während London und Berlin solche Kontakte nicht ausschließen wollen, um vereint die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) aus dem Feld zu schlagen. 2008 war Assad in Paris noch mit allen Ehren auf dem roten Teppich empfangen worden.

Hat Frankreichs Umdenken damit zu tun, dass sein neuer "strategischer Partner" Saudi-Arabien sowohl das iranische wie auch das Assad-Regime zu seinen Erzfeinden zählt? Diese Frage stellt man sich auch in europäischen Hauptstädten, wo nicht verborgen geblieben ist, dass sich Paris in Sachen Assad lieber innerhalb der EU querlegt, als saudischen Strategen zu missfallen.

Hollandes Einstehen für die sunnitischen Golfstaaten ist nicht neu: Schon seine Vorgänger hatten enge Beziehungen zu den Emiraten gepflegt. Aber stets auch zur Gegenseite, um die "politique arabe" Frankreichs im Lot zu halten. Dass nun ausgerechnet der Sozialist Hollande voll auf die milliardenschweren Ölscheichs setzt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. (Stefan Brändle aus Paris, 13.10.2015)