Bild nicht mehr verfügbar.

Der Wien-Wahlkampf ist vorbei. Sparen wir uns das Kaffeesudlesen und die kurzgegriffenen Schuldzuweisungen, fangen wir an, Politik zu machen.

FOTO: APA / HELMUT FOHRINGER

Wer einen rot-grünen Sieg feiert, kann nicht ganz dicht sein. In der Analyse der Wien-Wahl darf es nicht nur um das Wahlergebnis gehen, sondern muss es auch darum gehen, wie die Debatte geführt wird. Dabei ist die FPÖ die einzige Kraft, die sichtbar Gesellschaftspolitik betreibt, die vor allem dank der irren Strategie der ÖVP in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Der Rechtsruck der ÖVP bereitet der FPÖ den Boden in der politischen Debatte und zieht die SPÖ auf dem Feld der Wähler nach unten.

Sie braucht, wie die zwei älteren Herren in der Muppet-Show, nur mehr zu kommentieren. In der Auseinandersetzung mit FPÖ und, Betonung, der ÖVP, betreibt die SPÖ Antifaschismus höchstens als Folklore und kurzfristige Mobilisierung und hat keine mittel- und langfristige Strategie gegen den Hass. Die Grünen grenzen sich zwar deutlich von rechtsextremer Politik ab, haben aber selbst in der Debatte nichts anzubieten.

Wo sind die politischen Köpfe?

Nach einer verlorenen Wahl setzt das Bashing durch unzufriedene Parteigänger ein – ebenso wie Ausreden der Funktionäre. Man kann vieles an der grünen Kampagne kritisieren, die Probleme liegen aber woanders. Die Kampagnenabteilung macht ihren Job. Aber wo sind die politischen Köpfe?

Früher waren die Grünen eine desorganisierte Schrebergartenkolonie, heute sind sie kampagnenfähig, dabei aber leider entpolitisiert im Auftreten. Sowohl das romantische Klein-Klein der inhaltlichen Detailarbeit als auch das rein technokratische Austesten von Wählermilieus ist unpolitisch und führt in die Bedeutungslosigkeit. Schätzen wir die Kampagnenprofessionalität, sparen wir uns das traditionelle Kaffeesudlesen und die kurzgegriffenen Schuldzuweisungen nach Wahlen und fangen wir an, Politik zu machen. Dabei kann und darf man scheitern.

In die Grätzln gehen

Die Grünen müssen beginnen, Politik von unten zu gestalten. Das heißt, Bezirksarbeit stärken, als Partei in die Grätzln gehen, junge Menschen in lokale Parteiarbeit einbeziehen und nicht nur als Leiharbeiter für Wahlkämpfe engagieren. Zwar nur symbolisch, aber leider symptomatisch, zeigt sich das Gegenteil an Getränkepreisen bei der Wahlparty. Man bringt Ehrenamtlichen nicht gerade Wertschätzung entgegen, wenn der Getränkepreis von 4,80 Euro für ein kleines Bier mit dem Wahlergebnis in den Arbeiterbezirken zu fast 100 Prozent korreliert.

Debatten führen

Politik von unten heißt auch, dass politische Bildung keine rein staatliche Aufgabe sein darf, sondern vor allem eine Aufgabe jeder Partei selbst sein muss. In den Lokalgruppen und Teilorganisationen müssen politische Debatten geführt werden, die auch über ihren inhaltlichen Wirkungsbereich hinausgehen: Der Radweg muss bis zur Kritik an der Austeritätspolitik in Europa führen. Der Sinn dessen ist die Politisierung und Mobilisierung von Menschen für ihre Interessen und nicht bloß eine Mobilisierung zu den Wahlurnen. Die Grünen wollen die Zukunft dieses Landes sein, nicht nur ein professioneller Wahlverein.

Es geht auch darum, gute Leute vor Ort zu haben, in der Programmarbeit, in den Institutionen wie den Gewerkschaften, Universitäten, Krankenhäusern und Betrieben. Es braucht keine Apparatschiks der alten Schule, sondern Menschen, die mit Ideen diese Institutionen verändern. Viele sind schon aktiv und wollen gehört werden, ob in Währing oder Neubau, das muss man sehen, wertschätzen und als Potenzial nutzen. Das heißt aber auch, Widerspruch aushalten zu lernen.

Schluss mit dem Wohlfühlen

Wir Grüne müssen in den inhaltlichen Konflikt mit SPÖ und ÖVP gehen. Das hat auch gar nichts mit Oppositions- oder Regierungsarbeit zu tun. Es kann nicht sein, dass je stärker die FPÖ wird, desto mehr die Grünen in eine scheinbare Einheit mit ÖVP und SPÖ rücken. Das macht uns zum fünften Rad am Wagen, nimmt sowohl die Kraft zu gestalten als auch zu protestieren. Die Formel lautet daher nicht Kampf in der Mitte, sondern um die Mitte – und zwar mit grünen Werten wie Freiheit und Solidarität. Es muss Schluss sein mit dem Wohlfühlen in der Mitte.

Visionen und Ziele

Es braucht natürlich Visionen, aber auch konkrete Ziele, für die man kämpfen kann. Nicht Prozente, Mandate und Nummer eins bei Jungwählern, sondern Forderungen wie der Ausbau öffentlicher Dienstleistungen und Gemeingüter, werbe- und konsumfreie Räume, Gratis-Öffis, sozialer Wohnbau. Wie wäre es mit einer gesetzlichen Parteienreform, mit Demokratiestandards für Parteien, die das Führerprinzip der FPÖ schwächen würden, dem Mindestlohn oder einer vernünftigen Drogenpolitik wie der Legalisierung von Cannabis?

Der Erfolg der FPÖ zeigt, dass wir für Demokratie kämpfen müssen. Das heißt vor allem, Menschen mit ihren Interessen politisch zu beteiligen und zum Teil eines Anliegens zu machen, ihnen dabei aber nicht nach dem Mund zu reden. Das mühselige Schleppen zum Wahllokal alle fünf Jahre wird nicht ausreichen.

Der Kampf beginnt durch die Stärkung lokal verwurzelter politischer Arbeit, denn die Abstiegsängste von Menschen werden vom Nachbarn nebenan eher ernst genommen, als vom obersten Parteisekretär, der sie aus den Medien heraus mahnt. Wie wäre es, wenn der Nachbar ein Grüner oder Roter wäre? Eine Zukunftserzählung, die von Menschen vor Ort vermittelt wird, kann es schaffen, dass die Politik des Hinuntertretens zur Randerscheinung wird und Themen, die die Menschen in ihrer Alltagswelt wirklich betreffen, in den Mittelpunkt rücken. (Cengiz Kulaç, 14.10.2015)