Nachdem die FPÖ bei zwei Wahlen hintereinander, in Oberösterreich und Wien, deutlich zulegen konnte, während die Regierungsparteien stark verloren, waren sich eine große Zahl an Kommentatoren und politischen Beobachtern einig: Es geht nicht mehr weiter wie bisher. Rot und Schwarz, SPÖ und ÖVP, können oder wollen nicht miteinander, sie haben jahrelang nur politischen Stillstand produziert und Reformen sträflich vernachlässigt und damit den Nährboden für die Wahlsiege der Freiheitlichen bereitet. "Wie viele Wahlniederlagen brauchen Sie noch…Handeln Sie, regieren Sie", meinte ein Leserbriefschreiber im STANDARD. Und hat nicht sogar ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner gemeint, die Regierung müsse endlich aufhören "herumzuwursteln"?

Doch diese Kritik vermittelt ein falsches Bild der Realität. Da wird suggeriert, SPÖ und ÖVP müssten nur endlich mit der großen Reformpolitik beginnen, um Populisten und Rechts-außen-Parteien wie die FPÖ zu stoppen. Dabei besteht der Nährboden für die FPÖ nicht daraus, dass die große Koalition mangelnden Reformeifer zeigt. Zwei Belege dafür: Einer der zentralen Kritikpunkte an Rot und Schwarz ist, dass sie keine Bildungsreform zustande bekommen. Im Jahr 2012 hat eine Initiative mit prominenter Unterstützung ein spannendes Volksbegehren aufgelegt – mit vielen interessanten Forderungen wie einem Ende des Parteienproporzes im Schulsektor, mehr Investitionen in Schule, mehr Geld für Forschung. Doch das Ergebnis war bescheiden, gerade einmal sechs Prozent der Wähler interessierten sich für die Sache und unterzeichneten. In der neuen blauen Hochburg Simmering unterschrieben gar nur vier Prozent, das war der niedrigste Wert in ganz Wien. Glaubt also wirklich jemand, dass Menschen in Wien blau wählen, weil sie eine Bildungsreform wollen?

Der äußere Feind

Zweites Beispiel: Viele Experten und Kommentatoren fordern seit Jahren eine Pensionsreform. Das System ist derzeit nicht nachhaltig finanzierbar, die Jungen von heute werden nichts mehr haben, wenn es so weitergeht. Diese Argumente mögen alle stimmen. Aber im Kern laufen alle Reformvorschläge darauf hinaus, dass es Verschärfungen gibt – wir müssen länger oder mehr arbeiten, um uns die Pensionen leisten zu können. Meint also ernsthaft jemand, mit einer Pensionsreform den rechten Vormarsch stoppen zu können?

Verantwortlich für die Erfolge der Freiheitlichen ist in Wahrheit fast ausschließlich die tiefsitzende Angst der Menschen vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Diese Furcht ist dabei gegen einen äußeren "Feind" gerichtet: Migranten und Flüchtlinge.

Wer einen Beleg dafür sucht, kann sich die Analysen der Wahlmotive nach der Wahl in Wien ansehen. Demnach war für 70 Prozent der FPÖ-Wähler das "Asylthema" ausschlaggebend. Wer die Befragungen von Passanten in der neuen blauen Hochburg Simmering in Radio oder Fernsehen gehört oder gesehen hat, kann leicht zu dem Schluss kommen, dass es auch für die übrigen 30 Prozent nur um "Ausländer" geht. "Ein Kebabstand nach dem anderen", beklagte sich eine Passantin in Simmering am Montagmorgen in einem Ö1-Interview, als sie nach den Ursachen für den FP-Erfolg gefragt wurde. "Gehen Sie mal am Nachmittag auf der Simmeringer Hauptstraße spazieren", sagte ein anderer Passant, "der Ausländeranteil ist da leider sehr hoch."

Ob solche Aussagen nun stimmen oder nicht, ist egal, die Angst ist da. Befeuert wird sie von einer tatsächlich dramatischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. In Simmering zum Beispiel ist die Arbeitslosigkeit im Lauf des vergangenen Jahres um 20 Prozent gestiegen. Der Bezirk ist alles andere als ein Elendsviertel. Aber für immer mehr Menschen sind Jobverlust und Perspektivlosigkeit etwas, was sie nicht mehr nur aus der Theorie kennen, sondern am eigenen Leib oder in ihrer direkten Umgebung erleben. Und nun gibt es im Fernsehen täglich Bilder von neu ankommenden Flüchtlingen.

Die Konkurrenz wächst

Gut ausgebildete Akademiker können in dieser Situation leicht sagen, dass es eine moralische Verpflichtung gibt, diesen Menschen zu helfen. Diese Pflicht besteht zweifelsohne. Aber der große Zustrom wird dafür sorgen, dass im Niedriglohnsektor und in Berufsfeldern, in denen nur geringe Qualifikationen erforderlich sind, der Konkurrenzdruck steigt. Da ist es auch nicht sehr beruhigend, Statistiken von Ökonomen zu lesen, wonach über langen Zeitraum gesehen die Flüchtlinge die Wirtschaft eines Landes stärken und am Ende des Tages sogar zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen. Die Leute fürchten im Hier und Jetzt um ihre Arbeitsplätze.

Heißt das nun, man muss resignieren, der FPÖ die Arena überlassen? Nein, natürlich nicht. Aber Kommentatoren sollten aufhören, die Politik mit unmöglichen Forderungen und Erwartungen zu bombardieren. Die aktuelle Fluchtbewegungen in Europa und ihre Folgen kann kein Politiker in Europa und kein Staatsmann kontrollieren. Es gibt keine einfachen Antworten darauf, wie man mit dem Aufstieg des rechten Rands umgehen kann. Wahrscheinlich werden neue Investitionen nötig sein, um Wachstum zu generieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Gesellschaft braucht mehr Solidarität, auch von oben nach unten. So leicht verordnen lässt sich das freilich nicht. (András Szigetvari, 13.10.2015)