Wien – Die meisten "Risikostudien" zu Nanomaterialien seien wertlos, weil sie mangelhaft durchgeführt oder etwa für andere Zwecke konzipiert wurden, erklärte der Nanosicherheits-Experte Christoph Steinbach. Mögliche Wirkungen auf Menschen wären zwar oft gut untersucht, Umwelt- und Entsorgungsfragen jedoch für viele Substanzen ungeklärt, sagte er anlässlich einer Tagung in Wien.

"Je nach der Substanz sind nur ein Achtel bis zu einem Drittel der Publikationen, die in der wissenschaftlichen Literatur zu finden sind, geeignet etwas über die Risiken der untersuchten Nanomaterialien auszusagen", so Steinbach, der bei der deutschen "DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie" in Frankfurt arbeitet. Etwa für Zinkoxid, das in der Nanotechnologie "durchaus gängig" ist, wären die Chancen, eine Studie mit gesichertem Wissen zu erwischen, Eins zu Acht gegenüber mangelhaften Risikoberichten, so der Experte, der in dieser Woche auf der "8. NanoTrust-Tagung" an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sprach.

Eine häufige Fehlerquelle sei etwa, dass Forscher die Ausgangssubstanzen nicht ausreichend überprüfen. Wurde zum Beispiel bei der Herstellung eines Nanomaterials ein giftiges Lösungsmittel nicht gut genug entfernt, können die Zellen dadurch abgetötet werden, wobei fortan aber höchstwahrscheinlich die "getestete" Nanosubstanz als schädlich eingestuft wird.

Plumpe Überdosierungen

"Die schlimmsten Katastrophenmeldungen, die man in der Presse findet, stammen aber von Versuchen mit Überdosierungen", so der Chemiker. Dabei könne es schon mal passieren, dass auf einer Schicht Versuchszellen 20 Schichten Nanomaterial aufgebracht wurden und die Zellen einfach aus trivialen physikalischen Gründen weder Licht, Luft noch Nährstoffe bekommen oder regelrecht erdrückt werden. Mit speziellen Nano-Eigenschaften einer Testsubstanz habe solch ein plump herbeigeführter Zelltod freilich nichts zu tun.

Um bei den Nanosicherheitsstudien die Spreu vom Weizen zu trennen, würden im Rahmen eines DECHEMA-Projekts bis zu 20 Wissenschafter die Nanosicherheits-Literatur anhand eines öffentlich verfügbaren Kriterienkatalogs prüfen. Auf der Internetseite www.nanosicherheit.info könne man die Ergebnisse nachlesen, und zwar in einer geeigneten Form, egal ob man "Normalbürger" oder selbst Forscher ist, erklärte Steinbach. "Wir versuchen, die Informationen von der Sprache her zu staffeln und fangen bei den einfachen Tatsachen an, um beim Verweis zur wissenschaftlichen Originalliteratur zu enden", sagte er.

Derzeit sind dort Informationen zu 25 Nanomaterialien zu finden, über die man ausreichend gesicherte Daten gefunden hat. Doch selbst hier sei nicht die gesamte Breite abgedeckt. "Die Giftigkeit für Menschen ist für die allermeisten Nanomaterialien mehr oder minder gut untersucht", so Steinbach. Bei einigen Substanzen gäbe es aber große Wissenslücken zu möglichen Umweltrisiken, und was mit einem Nanomaterial passiert, wenn es am Ende seiner Tage auf einer Müllhalde endet, sei in noch weniger Fällen bekannt.

Kaum Kennzeichnungspflicht

Die meisten dieser Substanzen seien am Markt und in Verwendung, doch nur in wenigen Bereichen herrsche Kennzeichnungspflicht. "Wenn Nanomaterialien heutzutage in Lebensmitteln, Bioziden oder Kosmetika verbaut werden, muss der Hersteller dies draufschreiben", so der Experte. Deshalb würde man etwa auf einer Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor über 25 vermutlich den Inhaltsstoff "Titanoxid(Nano)" auf der Inhaltsstoffliste finden. Für die meisten anderen Produkte, wie zum Beispiel Tennisschläger, die mit Kohlenstoffnanoröhrchen verstärkt sind, gäbe es jedoch keine Kennzeichnungspflicht.

Das habe laut Steinbach zweierlei Konsequenzen. Manche Produzenten würden möglichen Diskussionen ausweichen, indem sie solche Materialien nicht deklarieren. "Und die andere Sorte von Herstellern sagt: Nano das klingt trendy, ich schreib' es auf mein Produkt drauf, obwohl gar kein Nano drin ist", sagte er. Denn dieser Begriff sei nicht geschützt und wird auch etwa für kleinere Medienabspielgeräte benutzt, die von Nanometerwinzigkeit weit entfernt sind. Hier bestünde also ebenfalls immer noch "eine gewisse Unschärfe". (APA, 19.10.2015)