Wien – Der am Dienstag veröffentlichte Greenpeace-Report "Europas Abhängigkeit von Pestiziden" übt scharfe Kritik am Umgang mit Pflanzenschutzmitteln in der EU. Die Folgen seien gravierend: Fast ein Viertel aller gefährdeten Tier- und Pflanzenarten sind durch aus Land- und Forstwirtschaft stammende Schadstoffe, darunter Pestizide und Düngemittel, bedroht.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace fordert eine Abkehr von chemischen Pestiziden und transparente Zulassungsverfahren. "Das Zulassungsverfahren für Pestizide durch die Europäische Union weist deutliche Mängel auf und gefährdet dadurch die Umwelt", sagt Herwig Schuster, Chemiker bei Greenpeace in Österreich. Hier wird immer nur der einzelne Wirkstoff bewertet.
Weitere Zusatzstoffe nicht erfasst
Die dann im Handel erhältlichen, fertigen Pestizidprodukte enthalten aber in der Regel weitere Zusatzstoffe wie Lösungsmittel, Tenside und Emulgatoren, die zum Beispiel dafür sorgen, dass der Wirkstoff besser in die Pflanzen eindringen kann. "Die Toxizität solcher Chemiemischungen kann bis zu 1.000-mal höher ausfallen als bei dem einzelnen Wirkstoff allein", so Schuster.
Auch Effekte von Pestizidgemischen, sogenannten "Cocktails", werden immer noch nicht routinemäßig berücksichtigt. Nicht zuletzt kritisiert Greenpeace schwerwiegende Interessenkonflikte im Bewertungsverfahren: Die standardisierten Untersuchungen werden nicht von unabhängigen Forscherteams durchgeführt, sondern von den Antragstellern selbst. Oft werden die Studien nur in zusammengefasster Form veröffentlicht, was es unmöglich macht, die Ergebnisse unabhängig zu überprüfen.
Debatte um Neuzulassung von IARC
Auch in der aktuellen Debatte rund um die Neuzulassung des umstrittenen, von der Internationalen Agentur für Krebsforschung IARC als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuften Herbizids Glyphosat stützt sich ein Teil der Bewertung auf nicht öffentlich zugängliche Industriestudien.
Ein weiterer Kritikpunkt der Greenpeace-Studie: "Wir erleben in Europa derzeit einen erschreckenden Rückgang der Insektenpopulationen. Dabei sind 70 Prozent der 124 wichtigsten Nutzpflanzen in der Nahrungsmittelproduktion von der Bestäubung durch Insekten abhängig, darunter Apfel und Raps", sagt Schuster. Schuld daran sind unter anderem Pestizide, denn sie bekämpfen nicht nur Schädlinge, sondern schaden auch wichtigen Bestäubern wie Bienen und Schmetterlingen.
"Wir brauchen einen Paradigmenwechsel hin zu einer wirklich ökologischen Landwirtschaft. Dafür braucht es entsprechende politische und finanzielle Unterstützung. Nur gemeinsam können wir den Teufelskreis des Pestizideinsatzes durchbrechen", so Schuster abschließend. (july, 13.10.2015)