Wäre alles wie geplant abgelaufen, hätte das jüngste Treffen der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg dazu dienen sollen, die seit Sommer angestiegene Flüchtlingswelle bald wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Die Türkei als EU-Beitrittsbewerber und Nato-Partner spielte dabei in den von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgelegten Konzepten eine Schlüsselrolle.
Sie sollte einerseits möglichst rasch zum "sichereren Drittland" erklärt werden, sodass EU-Staaten die Möglichkeit haben, abgelehnte Asylwerber, die von der Türkei aus über Griechenland nach Norden gezogen sind, wieder zurückzubringen – Syrer ausgenommen. In der Ägäis sollte es eine griechisch-türkische Kooperation zur Kontrolle der Außengrenze geben.
Verschärfte Lage
Ab Donnerstag werden die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel unter anderem darüber intensiv beraten. Nach dem jüngsten Anschlag bei einer Demonstration in Ankara mit fast hundert Toten und der Destabilisierung der Lage kurz vor den Parlamentswahlen steht das aber wieder alles infrage.
Zudem verschärft sich die Lage in Syrien zunehmend. Es wäre "fatal", wenn durch die russischen Bombardements weitere "Zehntausende oder Hunderttausende zu Flüchtlingen werden", warnte der EU-Ratspräsident Jean Asselborn aus Luxemburg. Der Deutsche Frank-Walter Steinmeier zeigte sich zwar hoffnungsfroh, dass die "ermutigend begonnenen Gespräche" mit der Türkei über eine gemeinsame Migrationspolitik aufrecht bleiben würden. Aber es stockt derzeit.
Merkel fliegt in die Türkei
In Berlin kündigte der Sprecher von Angela Merkel an, die deutsche Kanzlerin werde Sonntag in die Türkei reisen – also kurz nach dem EU-Gipfel. Die Konflikte überschatten die Versuche, ein besseres Management der Flüchtlingsströme zu erreichen, wie Merkel wünscht. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini strebt – wie der STANDARD berichtete – an, eine Syrien-Friedenskonferenz zu organisieren, mit den Europäern als Vermittler zwischen den Streitparteien. Die Gespräche in Luxemburg sollten dazu dienen, das Verhältnis zu Russlands Präsident Wladimir Putin und der Rolle Russlands zu klären, gegen das die EU wegen der Ukraine Sanktionen verhängt hat; und auch, wie man Syriens geächteten Präsidenten Bashar al-Assad in Gespräche einbindet.
In einer Erklärung der Außenminister wird Moskau daran erinnert, dass die Luftschläge laut UN-Vorgabe ausschließlich den erklärten Terroristen des "Islamischen Staats" (IS) oder der Al-Nusra zu gelten haben. Angriffe gegen die gemäßigte Opposition zu Assad müssten sofort "ohne Verzug eingestellt" werden. Moskau wird aufgefordert, beim Einsatz von Kampfflugzeugen die Grenze zur Türkei zu respektieren. Das Eingreifen Russlands habe die Lage "total geändert", sagte Mogherini.
Die Nato warnte, die russischen Angriffe könnten den Konflikt verlängern. Ziel der EU sei weiters, in Syrien eine Übergangsregierung zu schaffen, sagte Steinmeier. Frankreich besteht darauf, dass Assad einer solchen nicht angehören dürfe. Die Bildung einer Übergangsregierung zu unterstützen bemüht man sich auch in Libyen. (Thomas Mayer aus Luxemburg, 12.10.2015)