Pro: Grüne Glaubwürdigkeit

Maria Vassilakou hat eine klare Ansage gemacht: "Sollte es zu Verlusten kommen, was ich nicht glaube, dann bedeutet das für mich auch, dass es an der Zeit ist, dass die nächste Generation bei den Grünen übernimmt." Niemand hat die grüne Spitzenkandidatin in einem APA-Interview vor der Wien-Wahl zu dieser Aussage gedrängt. Sie hat ohne Not mit Rücktritt gedroht, falls das Wahlergebnis nicht entsprechen sollte. Wenn dieser Satz als Aufforderung gedacht war, zweifelnde Anhänger zur Stimmabgabe für Grün zu motivieren, ist die erwünschte Wirkung nicht in dem Ausmaß eingetreten.

Vassilakou sollte zu dem stehen, was sie sagt. Sie ist politischer Profi genug, um zu wissen, dass sie daran gemessen wird. Schon im Vorfeld versuchte die Grünen-Politikerin diese Aussage zu relativieren. Am Wahlabend wurde dann die Interpretation versucht, das habe nur für Mandate, nicht aber für Stimmen gegolten.

Wer sollte Ankündigungen von Politikern noch ernst nehmen, wenn sie sich nicht an ihre eigenen Vorgaben halten wollen? Die Grünen sind sehr schnell da, wenn es darum geht, andere an die Einhaltung ihrer Ankündigungen zu erinnern – etwa den steirischen Landeshauptmann Franz Voves, der nach einigem Zögern doch zurücktrat. Steht Vassilakou nicht zu ihrem eigenen Wort, schadet sie nicht nur ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, sondern auch der ihrer Partei. (Alexandra Föderl-Schmid)

Kontra: Eine Frage der Vernunft

Dezent formuliert, war Maria Vassilakous Rücktrittsankündigung im Wahlkampf ein Anfängerfehler, der einem Politprofi nicht hätte passieren dürfen. Sie musste wissen, dass sie nicht über die Bussibär-Werte eines Alexander Van der Bellen verfügt, bei dem eine solche Drohung potenzielle Grün-Wähler in Scharen zu den Urnen gejagt hätte. Dennoch hat sie es gesagt, und zu seinem Wort sollte man stehen. Das gehört zu unserem Wertekanon, und gerade die Grünen wacheln gern mit Moral. Wer so argumentiert, hat recht – und auch wieder nicht.

Eine politische Dummheit wird nicht kleiner, indem man ihr eine zweite, größere, hinterherwirft. Wer diesmal Grün wählte, votierte für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition in Wien. Es ist Vassilakous Verdienst, die Wiener Grünen geeint und regierungsfähig gemacht zu haben. Bürgermeister Michael Häupl ist die grüne Truppe noch immer großteils suspekt – mit Vassilakou kann er gut. Das ist kein unwesentlicher Faktor bei Koalitionsverhandlungen. Bei den Grünen wiederum gibt es niemanden, der sich an ihrer Stelle aufdrängt. Schmeißt Vassilakou hin, ist wahrscheinlich auch Rot-Grün dahin. Das ist nicht im Sinn der allermeisten Grün-Wähler.

Diese werden ihr den Rücktrittssager wohl eher als "Ausrutscher" nachsehen – und noch mehr darauf achten, was sie verspricht und was sie hält. Das ist nicht der schlechteste Nebeneffekt. (Petra Stuiber, 12.10.2015)