Ertl schloss heuer eine Ausbildung zur Unternehmensführung im Fußball- und Privatsektor ab. Daneben ist er Master of Business Administration.

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Johnny Ertl: "Mich hat immer interessiert, was die Fans denken."

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John Westwood ist eine Kultfigur der Portsmouther Fanszene. Im Berufsleben verkauft er antiquarische Bücher.

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Zweites Standbein: Ertl betreut auch Nachwuchsmannschaften des FC Portsmouth.

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Johnny Ertls Liebe für den englischen Fußball entflammte, als er als Schüler Nick Hornbys Fußballroman "Fever Pitch" las. 2008 wechselte der Grazer von der Wiener Austria zu Crystal Palace. Nach einem Zwischenstopp bei Sheffield United fand er in Portsmouth seinen Herzensverein, mit dem er eine turbulente Zeit durchlebte. Der Traditionsklub, der 2010 noch im FA-Cup-Finale stand und ihn 2008 sogar gewann, geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Die sportliche Talfahrt führte bis in die League Two, die vierthöchste englische Spielklasse. 2013 wurde Portsmouth schließlich von den Fans übernommen. Sie waren es auch, die den 32-jährigen Ertl im September in den Vereinsvorstand wählten.

STANDARD: Sie waren beim FC Portsmouth Kapitän und Spieler der Saison 2012/13. Nun gehören Sie dem Vorstand an. Warum Sind Sie in Portsmouth so beliebt?

Johannes Ertl: Mit Portsmouth bin ich durch dick und dünn gegangen. Ich war immer loyal, auch als Angebote von besseren Klubs kamen. Ich denke, ich passe auch zur britischen Mentalität. Ich war nie ein Spieler, der drei Übersteiger gemacht, sondern einer, der die Ärmel hochgekrempelt und alles gegeben hat. Mich hat auch immer interessiert, was die Fans denken. Deshalb bin ich nach den Spielen auf dem Platz geblieben, um mit ihnen zu plaudern. Dieser ehrliche Fußball hat ihnen wohl imponiert.

STANDARD: Wird ehrlicher Fußball in England noch immer besonders geschätzt?

Ertl: Auf jeden Fall. Für die Engländer ist Fußball nie bloß ein Spiel, sondern immer auch mit Werten verbunden. Wenn ein Spieler eine Schwalbe herauszuschinden versucht, wird er oft sogar von den eigenen Fans ausgepfiffen. Falls jemand verletzt vom Platz getragen wird, steht das gesamte Publikum auf, um zu applaudieren. Du musst dich aber immer reinhauen. Wenn die Leute sehen, dass du auf dem Platz arbeitest, lieben sie dich.

STANDARD: 2010 stand Portsmouth noch im FA-Cup-Finale. Nach zwei Insolvenzverfahren spielt der Verein nun in der vierten Liga. Was ist schiefgelaufen?

Ertl: Der Erfolg ist zu teuer erkauft worden, das ist der Hauptgrund. Als Portsmouth 2008 den FA-Cup gewonnen hat, war natürlich jeder stolz. Der Klub hatte früher fantastische Spieler in seinen Reihen wie Robert Prosinečki, Peter Crouch, Sol Campbell oder Jermain Defoe. Für solche Spieler ist aber zu viel ausgegeben worden.

STANDARD: Im April 2013 wurde der FC Portsmouth von den Fans übernommen. Derzeit ist er der größte Community Club Englands.

Ertl: Das ist eine große Sache, weil die Eigentümer echte Fans sind, die hinter dem Tor sitzen und der Mannschaft zujubeln. Dadurch handeln sie im Gegensatz zu vielen Mäzenen ausschließlich im Interesse des Vereins. Vor allem am Anfang hatten wir viele Herausforderungen zu bewältigen. Das hat die Menschen hier aber enorm zusammengeschweißt.

STANDARD: 48 Prozent der Vereinsanteile besitzt die Fanvereinigung Pompey Supporters' Trust. Wem gehört der Rest?

Ertl: Investoren. Die haben verschiedene Backgrounds und besitzen Firmen in Portsmouth. Fans konnten sich um maximal 1.000 Pfund Anteile kaufen und dadurch in den Supporters' Trust aufgenommen werden. Der Trust hat knapp drei Millionen aufgestellt. Die Investoren haben deutlich mehr Geld hineingesteckt und haben deshalb mehr Mitspracherecht. Aber auch sie sind Fans, die hinter dem Tor stehen.

STANDARD: Im Gegensatz zu anderen Ländern haben in England Mitgliedervereine keine große Tradition. Warum wird die Idee von Vereinen in Fanbesitz nun so gut aufgenommen?

Ertl: Ich glaube, dass es viele Fans satt haben, vor einem Scherbenhaufen zu stehen, wenn Mäzene einen Verein fallenlassen oder ihm durch schlechtes Wirtschaften schaden. Es ist ganz natürlich, dass Fans ein gewisses Mitspracherecht einfordern. Sie sind es, die der Mannschaft zujubeln und für den Umsatz sorgen. Wichtig ist aber, dass ein Verein professionell geführt wird. Die Frage, die sich stellt, ist, wie weit man mit solchen Modellen nach oben kommen kann.

STANDARD: Ist das Hauptziel eines Fußballvereins überhaupt der sportliche Erfolg?

Ertl: Natürlich! Man spielt ein Spiel, um es zu gewinnen. Das ist das Grundprinzip des Fußballs. Daneben gibt es aber auch andere wichtige Ziele wie die Stiftung von Gemeinschaft. Bei einem Verein, der den Fans gehört, geht man gemeinsam durch dick und dünn. Es ist schön, sich miteinander zu freuen. Wenn wir untergehen, dann aber auch zusammen.

STANDARD: Sie sitzen seit einem Monat im Vorstand. Welche Aufgaben stehen an?

Ertl: Wir überlegen uns, wie wir das Stadion umbauen werden. Derzeit hat es ein Fassungsvermögen von 17.000, das Potenzial ist aber weitaus größer. Unser Trainingszentrum wollen wir noch einmal vergrößern, damit die Akademie einen eigenen Fußballplatz hat. Natürlich werden auch Pläne für einen möglichen Aufstieg in die League One (dritthöchste Spielklasse, Anm.) geschmiedet. Der Aufstieg ist unser Ziel.

STANDARD: Was macht Sie zum richtigen Mann für diesen Job?

Ertl: Ich kenne jeden im Verein und bin mit den Strukturen des britischen Fußballs vertraut. Ich wollte schon immer wissen, was sich hinter den Kulissen eines Fußballvereins abspielt. Vor zwei Jahren habe ich den Master of Business Administration abgeschlossen. In meiner Abschlussarbeit habe ich mich mit Insolvenzen von britischen Fußballklubs beschäftigt und Portsmouth als Fallstudie behandelt. Heuer habe ich eine Ausbildung über Unternehmensführung im Fußball- und Privatsektor gemacht.

STANDARD: Sie leben seit sieben Jahren in England. Was fasziniert Sie an diesem Land?

Ertl: Die Intensität, mit der Fußball hier gelebt wird. Wenn man durch die Straßen zieht, sieht man, dass sich die Menschen ständig über Fußball unterhalten. Auch die mediale Berichterstattung ist unvergleichbar. Wenn Portsmouth ein Testspiel absolviert, berichten zwei Radiostationen darüber. Und das in der vierten Liga! Als ich Nick Hornbys "Fever Pitch" gelesen habe, war mir klar: Ich muss nach England.

STANDARD: Hornby schreibt in vielen Passagen von einem in der Arbeiterklasse verankerten Fußball. Ist das nach wie vor der Fall?

Ertl: Total. Vor allem im Norden des Landes, der traditionell von der Kohle- und Stahlindustrie geprägt ist. Ich habe zwei Jahre bei Sheffield United gespielt. Der Verein nennt sich "The Blades", was man als Messerklingen übersetzen könnte. Auch mein erster Klub in England, Crystal Palace, ist ein echter Arbeiterverein. In Portsmouth kommen Menschen aus allen sozialen Schichten ins Stadion.

STANDARD: Viele Arbeiter werden aber durch hohe Ticketpreise aus den englischen Stadien ausgeschlossen.

Ertl: Das ist vor allem in der Premier League so. Bei einem globalen Verein wie Manchester United stellen sich hunderttausende Menschen um Karten an. In der Wirtschaft bestimmen nun einmal Angebot und Nachfrage den Markt. Große Klubs können es sich leisten, mit den Preisen hinaufzugehen, die Stadien werden trotzdem voll sein. Anders ist es bei Mitgliedervereinen wie Portsmouth. Dort passt ein Fan auf den anderen auf, die Ticketpreise bleiben dadurch im erträglichen Rahmen.

STANDARD: Ein Ticket für ein Heimspiel des FC Portsmouth kostet 20 Pfund. Ist das nicht etwas teuer für die vierte Liga?

Ertl: Im Vergleich zu anderen Vereinen sind die Ticketpreise nach wie vor niedrig. Wir haben an die 11.000 Season-Ticket-Holder, das Stadion ist fast immer ausverkauft. Es kommen dabei Fans aus allen sozialen Schichten. Was dem Verein auch zugutekommt, ist, dass Portsmouth ein One City Club ist. Fußball wird auch abseits des Stadions gelebt. Auf den Straßen, in den Geschäften, in den Pubs.

STANDARD: Der Chronist Samuel Pepys bezeichnete den Pub als das Herz Englands.

Ertl: Damit könnte er recht haben. Die Pubkultur ist hier natürlich einzigartig. In den Pubs wird besonders stark über den Fußball gefachsimpelt. Manchmal hat man das Gefühl, man trinkt sein Bier mit lauter Teamchefs.

STANDARD: In der Premier League darf man auf den Rängen nicht stehen. Es wird kein Bier ausgeschenkt, gibt kaum Choreografien. Teekränzchen-Atmosphäre statt Fußballparty?

Ertl: Die Liga setzt auf das Prinzip "Safety First", was der Stimmung auf den Rängen natürlich nicht zugutekommt. In Portsmouth gibt es schon Choreografien, die aber nicht so stark ausgeprägt sind wie im kontinentaleuropäischen Raum. Die Leute sind aber trotzdem mit viel Leidenschaft dabei. Wenn John Westwood und 17.000 andere Fans ihre Lieder anstimmen, ist das eine ansteckende Atmosphäre.

STANDARD: Wer ist John Westwood?

Ertl: John hat sich über 300 Portsmouth-Tattoos stechen und in den Zahn "PFC" eingravieren lassen. Ich habe mich mit ihm vor einer Woche getroffen. Im Stadion lebt er seine Fußballbegeisterung aus, im Berufsleben führt er einen Laden, in dem er antiquarische Bücher verkauft – im feinsten Zwirn. Da sieht man kein einziges Tattoo mehr. John Westwood spiegelt die Fußballverrücktheit dieser Stadt gut wider. (Kordian Prokop, 14.10.2015)