Voraberger kann sich die WM-Titel der IBO-, WIBF- und GBU-Version umschnallen. Nacheinander halt.

Foto: STANDARD / Andy Urban

Die 25-jährige Eva Voraberger, die "Golden Baby" gerufen wird, ortet ein Interesse für Frauenboxen in Österreich. Ihr jüngster Titelkampf zog immerhin tausend Zuschauer an.

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Die Adrenalinausschüttung ist im Ring so heftig, dass Schmerzen nur eine untergeordnete Rolle spielen.

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Wien – Ein Industriehof mit roten Backsteinen in Stadlau, verwinkelt zwischen dem 48er-Altwaren-Basar der Wiener Abfallwirtschaft, einer Autowerkstatt und einem Containerladeplatz. Hier befindet sich das Studio des Box Team Vienna, hier boxt Eva Voraberger, Weltmeisterin im Superfliegengewicht. Schnelle Rhythmen plärren aus der Musikanlage, ein Sandsack wird mit Schlägen malträtiert, die Strickleiter für die explosive Beinarbeit liegt ausgebreitet auf dem Boden.

Voraberger, 25 Jahre alt und aus Graz, hat kürzlich gegen die Thailänderin Teeraporn Pannimit den Weltmeistertitel in der Gewichtsklasse bis 52 Kilogramm geholt. Sie schickte ihre Gegnerin mit präzisen Körpertreffern zweimal auf die Bretter. In der achten Runde war der Kampf nach technischem K. o. vorbei.

Das Hinterhofimage hat Boxen längst abgelegt. Was einst eine Lagerhalle des Büchervertriebs Morawa war, wurde von Vorabergers Trainer und Manager Peter Pospichal quasi im Alleingang in ein Trainingszentrum umgebaut. Aber ohne Hochglanzpolitur. Es soll erdig bleiben. "White Collar Boxing", also Stressabbau per Faustschlag für Führungskräfte, gibt es hier nicht. Obwohl natürlich jedermann willkommen ist. Und jede Frau. "Ich trainiere genauso hart wie die Männer, gehe im Ring die gleiche Distanz. Ich fühle mich nicht benachteiligt, ganz im Gegenteil. Ich werde in der Szene respektiert", sagt Eva Voraberger.

Das tägliche Schuften

Von 24 Profikämpfen hat Voraberger zwanzig gewonnen, zehn durch Knockout. 2014 war sie bereits Weltmeisterin, jetzt ist sie es wieder. Für den Erfolg wird täglich geschuftet. Sechs Uhr früh: Wecker. Ab sieben Uhr: zwei Stunden Konditionstraining. Am Abend: zwei Stunden Boxtraining. Begonnen hat Voraberger mit 17 Jahren. Sport als Ausgleich und als Flucht vor Problemen. Ihre Eltern ließen sich scheiden, sie war ein "schlimmes Mäderl". Schulschwänzen, Rauchen, Alkohol. Sie hat es ihrer Mama, einer Zahnarztassistentin aus Graz, nicht leichtgemacht. Heute überwiegt der Stolz auf die Tochter, die nach ihrem Schulabschluss nach Wien auswanderte.

Kurze Zwischenfrage. Würde der STANDARD – verrückt, wie er nun einmal ist – darum bitten, ausgeknockt zu werden, wohin würde Eva Voraberger schlagen? "Auf die Leber. Da bleibt dir die Luft weg. Ein schiaches Gefühl. Du klappst zusammen und kannst nicht mehr aufstehen." Vorabergers schwerste Verletzung war ein ausgerenkter Kiefer. "Die sechs Wochen danach waren schlimm. Reden und essen wie ein Baby, aus dem Flascherl trinken." Die Nase ist noch heil. Und die Haut wird oft mit Vaseline eingeschmiert, "damit ich nicht so schnell Cuts bekomme. Außerdem trocknet beim Gewichtmachen die Haut aus."

Wer nicht kämpft ...

Wenn Frauen heute in den Ring klettern, dann folgen sie durchaus einer alten Tradition. Bereits im 18. Jahrhundert droschen auf Londons Jahrmärkten wilde Weiber aufeinander ein, sie taten es den Männern gleich, prügelten sich mit nackten Fäusten, trugen Namen wie "Die Sprottenverkäuferin", "Die boxende Hufschmiedin" oder "Der Prellbock". Mit dieser brutalen Form des Entertainments hat der heutige Sport nichts mehr zu tun. Es war ein langer Kampf, bis Frauen gleichberechtigt im Ring stehen durften. Bei Olympischen Spielen können Frauen schon lange miteinander ringen, im Judo und Taekwondo gegeneinander kämpfen.

Aber Boxen? Die Gralshüter des IOC hatten wohl Angst, dass blutig geschlagene Frauengesichter dem Image ihrer fünf Ringe abträglich sein würden. Erst seit London 2012 ist der Frauenboxsport olympisch, für Voraberger aber kein Thema. "Dafür müsste ich in den Amateurbereich wechseln."

Dank Voraberger und der gebürtigen Deutschen Nicole Wesner darf sich Österreich mit zwei Weltmeisterinnen schmücken, dennoch fristet der Sport medial ein Schattendasein. Sponsoren decken Vorabergers Fixkosten ab, für einen WM-Titel gibt es nicht einmal ein Butterbrot. Im Gegenteil. Als Herausforderin muss sie ihrer Gegnerin Kost und Logis zahlen. "Das Interesse am Boxen ist da, aber ohne Fernsehen fehlt der Pushfaktor." Tausend zahlende Gäste kamen zum letzten WM-Kampf in Wiener Neudorf. Der Fortschritt ist ein langsamer, "auch weil unsere Entwicklung viel später begonnen hat. Dennoch würde sie jungen Mädchen das Boxen empfehlen. "Du wirst selbstbewusster, lernst Disziplin."

Dem Glamour und Glitzer eines Floyd Mayweather kann sie nichts abgewinnen, weil "ich kein Fan von dieser aufgeblasenen Millionenshow bin". Aber: "Er hat hart dafür trainiert und durch den Neid einen großen Druck, weil ihn mehr Leute verlieren als gewinnen sehen wollen." Ihr Körper ist mit Schriften und Gemälden reichlich verziert, ein Lebensmotto hat sich Voraberger auf den Bauch tätowieren lassen: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren." (Florian Vetter, 14.10.2015)