Zuerst fuhr ein schwarzer neuer Luxus-Mercedes voran, den das unter UN-Sanktionen stehende Nordkorea offiziell gar nicht hätte einführen dürfen. Reiter auf Pferden folgten, einer wurde sogar später abgeworfen, als sich sein Roß erschreckte. Doch so pittoresk ging es nur am Anfang zu. In einer fast dreistündigen Militärparade zeigte der atomar bewaffnete Staat was er an Militärfahrzeugen, Panzereinheiten oder Raketenwerfer aufbieten konnte.

Anlass des Armeeaufmarsches waren die Feiern zum 70. Gründungstag der koreanischen Arbeiterpartei (WPK), eine eigentlich zivile Angelegenheit. Machthaber Kim Jong-un nutzte auch das Jubiläum, um ein Loblied auf die dem Militär lange Zeit untergeordnete traditionelle Macht der WPK anzustimmen. Kim ist als Erster Sekretär Chef der Partei. Doch das Primat des Militärs tastete er nicht an. Als Oberbefehlshaber der Armee versprach er zugleich: "Unser Staat soll eine militärische Großmacht von Weltniveau werden."

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Applaus für Kim Jong-un
Foto: AP/Wong Maye-E


Orchestrierter Beifall brandete bei solchen Aussagen auf. Soldaten trieben den Personenkult auf die Spitze, als sie gegen Ende seiner Rede immer wieder Hochrufe auf ihn ausstießen und seinen Namen skandierten. Die Parade unterstrich, dass die Doktrin von der Vorrangstellung der 1,2 Millionen Soldaten starken Armee über die Partei, der nominell vier Millionen Mitglieder angehören, unter Kim weiterhin Gültigkeit haben soll.

Chinas Fernsehen zeigte am Samstag über den Fernsehsender Phönix das Nordkorea-Spektakel auf mehreren TV-Kanälen und auch im Internet live. Es war eines der vielen neuen Zeichen für die sich wieder verbessernden Beziehungen zwischen den einstigen Verbündeten. Ihr politisches Verhältnis hatte sich seit der nuklearen Aufrüstung und den drei unternommenen Atom- und Raketentests Pjöngjangs stark abgekühlt. Chinas Parteichef Xi und Kim, die beide 2012 an die Macht kamen, haben sich aus diesem Grunde bislang nicht einmal getroffen.

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Die Luftwaffe zeigt, was sie kann
Foto: AP/Wong Maye-E

Das könnte sich bald ändern, und China machte den ersten Schritt dazu. Xi richtete überraschend ein herzliches Gratulationsschreiben der KP China zum Parteijubiläum an den Parteivorsitzenden Kim. Ausdrücklich schrieb er "auch in meinem eigenen Namen" und versprach fruchtbare Zusammenarbeit "Generation über Generation," ein besonders symbolträchtige Formulierung, die auch eine Anerkennung der feudalen Familienherrschaft der Kims impliziert. Dann schickte Xi als Teilnehmer an der Parade auch noch seinen Propagandachef Liu Yunshan nach Pjöngjang, der Mitglied der Inneren Führung Chinas ist. Jungdiktator Kim empfing den hochrangigen Funktionär und stellte ihn als einzigen Ausländer demonstrativ neben sich auf die Tribüne. Gemeinsam mit Liu nahm er die Truppenparade ab. Aufnahmen zeigten beide vertraut scherzend und am Ende der Parade gemeinsam winkend den Balkon verlassen.

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Kim Jong-un und Liu Yunshan
Foto: AP/Maye-E Wong

Nordkoreaspezialisten und Militärattachees nannten die sich wieder erwärmenden Beziehungen zwischen Nordkorea und China aufschlussreicher, als das was sie an Waffen zu sehen bekamen, trotz Pjöngjangs Kontinentalrakete K-08, die eine Strecke zwischen 6000 und 7000 Kilometer bis Guam fliegen kann. Allerdings kann Pjöngjang mit seinen Massen an Kurzstreckenraketen, Granatwerfern oder Amphienfahrzeuge seine Nachbarstaaten und vor allem Südkorea gefährlich bedrohen und erpressen. Kim machte mit der Parade seinem Ruf alle Ehre, aller Armut und Not zum Trotz über einen bis an die Zähne bewaffneten Militärstaat zu herrschen..

Der 32-Jährige ließ keinen Zweifel daran, diese Waffen wenn nötig einzusetzen. Seit seinem Amtsantritt war es seine fünfte und diesmal größte Militärparade, die er abnahm. Er sprach in schnellem aufputschenden Tempo und erntete demonstrativen Beifall der Tausenden Soldaten und Zuschauer auf dem Kim Il-song Platz, als er ausrief: "Wir führen gegen den US-Imperialismus einen harten Kampf. Den haben wir uns nicht ausgesucht." Die USA "zwingen uns dazu. Wir können sie aber in jeder Form und Weise bekämpfen." Kim spielte auf die neue Atomwaffen- und Raketenmacht seines Landes an, auch wenn sie von keinem Land der Welt bisher anerkannt werden.

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Foto: AP/Wong Maye-E

Der neben íhm stehende Funktionär Liu verzog keine Miene, obwohl sich Chinas Staatschef Xi in Washington gerade erst mit US-Präsident Barack Obama auf einen Ausbau ihrer "neuartigen Großmachtbeziehungen" verständigt hatte. Dazu gehört auch, dass beide das Korea-Atomwaffenproblem konstruktiv politisch lösen wollen. Peking argumentiert, dass der Besuch von Liu bei Kim diesem Zweck diente. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Xinhua hätte sich Liu dabei für eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel ausgesprochen. Er habe Kim gedrängt, sich an der Wiederaufnahme der Sechs-Parteiengespräche zur Lösung des Nuklearproblems zu beteiligen. Nordkorea will davon schon lange nichts mehr wissen. Seine Nachrichtenagentur KCNA veröffentlichte am Samstag eine andere Version des Gesprächs zwischen Kim und Liu. Kim habe von ihm viele guten Wünsche gehört und auch einen noch nicht veröffentlichten weiteren Brief von Parteichef Xi mitgebracht bekommen. Er habe Liu gesagt: "Die unzerstörbare Vitalität der Freundschaft zwischen beiden Staaten wird in der Zukunft noch dynamischer zum Vorschein kommen." Von Abrüstungswünschen Chinas an Kim war in dem KCNA-Bericht keine Rede.

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Foto: AP/Wong Maye-E

So scheinen sich beide Staaten wieder als Karte in ihrem Verhältnis zu den USA ausspielen zu wollen. Pekings Beziehungen zu den USA haben sich kurz nach Rückkehr von Xi, der in Washington wenig erreichen konnte, wieder eingetrübt. Der Streit mit Washington über Chinas Territorialkonflikt im südchinesischen Meer ist wieder aufgebrochen, nachdem die US-Marine ankündigte, die Freiheit der Navigation im Umkreis der von China künstlich erbauten Inseln austesten zu wollen. Auch der Durchbruch der USA im transatlantischen Freihandel, von dem China vorerst ausgeschlossen ist, hat neues Mißtrauen in Peking geweckt. Für Nordkorea ist Chinas Karte noch wichtiger. Das weltweit isolierte Pjöngjang, zu dessen Parade niemand kommen wollte, erhielt dank Peking wieder Gesicht. Zugleich kann Nordkorea, dass in seiner Erdöl-Energie-und Nahrungsmittelversorgung am Tropf Chinas hängt und mehr als 80 Prozent seines mageren Handels nur mit dem Nachbarn abwickelt, künftig wieder auf mehr Hilfe Chinas bauen.

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Foto: AP/KRT via AP Video

Für eine Lösung oder Eindämmung der Atomaufrüstung Nordkoreas, das schon wieder mit einem neuen Test zündeln will, ist Pekings jüngster Schwenk kein gutes Zeichen. Chinas Nordkoreaexerte Zhang Liangui von der Parteihochschule warnt, dass Pjöngjang seine Außenpolitik unter die Prämisse setzt, endlich als Atomwaffen-Staat international anerkannt zu werden und so auch ein Ende der Sanktionen anstrebt. Er befürchtet, dass Pekingsfreundliche Haltung falsche Signale setzt. (Johnny Erling aus Peking, 10.10.2015