Je nach Umfrage und Land nutzen bis zu hundert Prozent der Ärzte und 94 Prozent der Medizinstudenten Wikipedia. Im Bild das erste Wikipedia-Denkmal, errichtet 2014 in Slubice, Polen.

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EbM-Experte Gerald Gartlehner nimmt für derStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe.

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Als die Ebola-Krise die Welt und die Medien in Atem hielt, verbreiteten sich Angst, Mythen und Verschwörungstheorien. Doch wie die "New York Times" beschreibt, zeichneten sich einige Quellen beständig durch Faktentreue aus. Beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Aber auch Wikipedia, der Gigant unter den Gesundheitsportalen.

Der absolute Platzhirsch lässt global gesehen auch Fernsehen, Printmedien und sogar Google hinter sich – denn fast alle informieren sich bei Wikipedia. Je nach Umfrage und Land auch 50 bis hundert Prozent der Ärzte und 94 Prozent der Medizinstudenten.

Erstaunliche Qualität

Wikipedia bietet medizinische Artikel in 115 Sprachen – der Umfang der darin enthaltenen Gesundheitsinformationen würde 127 Bände der Encyclopaedia Britannica füllen. Aber vor allem: Die Texte sind frei zugänglich, oft sehr gut für Laien aufbereitet und aus Sicht der meisten auch ausreichend.

Tatsächlich ist die Qualität auf Wikipedia teilweise erstaunlich. Sowohl im Jahr 2005 als auch im Jahr 2012 zeigten Untersuchungen, dass die Informationen genauso zutreffend sind wie in der redaktionell aufwendig erstellten Encyclopaedia Britannica, die seit 2012 auch nur noch online erscheint.

Ein Grund dafür ist die interne Qualitätskontrolle auf Wikipedia – jeder Artikel wird von anderen Autoren gegengelesen. Und noch eine Stärke: Wikipedia lebt von Referenzen, Behauptungen müssen also mit Quellenangaben belegt werden. Bei den Quellen handelt es sich zum Großteil um die besten medizinischen Journale, auch Cochrane-Übersichtsarbeiten werden häufig zitiert.

Besseres Futter für Wikipedia

Auch wenn es noch lange nicht perfekt ist, prägt das kostenlose Onlinelexikon die Gesundheitsentscheidungen weltweit wie keine andere Quelle. Daher ist es entscheidend, dass die Informationen dort richtig und aktuell sind. Zu diesem Zweck arbeiten bereits seit 2012 Cochrane und Wikipedia zusammen. Begonnen hat es damit, dass 100 Wiki-Autoren, die über medizinische Themen schreiben, freien Zugang zu Cochrane-Datenbanken bekamen.

Das unabhängig arbeitende Cochrane-Netzwerk fasst die Ergebnisse einzelner Studien in systematischen Übersichtsarbeiten zusammen. Diese Übersichten gelten als derzeitiger Goldstandard des medizinischen Wissens. Ebenso wie Wikipedia ist Cochrane eine weltweite NGO, außerdem werden beide Organisationen von ähnlichen Motiven angetrieben.

Der Mix aus Altruismus, Wissenschaft, sozialer Bedeutung und Zusammenarbeit, der viele Freiwillige dazu treibt, an Cochrane mitzuarbeiten, motiviert auch viele Wikipedia-Autoren. Eine stärkere Zusammenarbeit liegt also nahe. Schneller und teilweise automatisierter Informationsaustausch soll dafür sorgen, dass medizinische Artikel in Wikipedia immer auf dem laufenden Stand sind und eine solide Grundlage haben.

Wikipedia war eines von unzähligen Themen beim Cochrane Colloquium, das am vergangenen Wochenende in Wien stattfand. 1.300 Wissenschafterinnen und Wissenschafter tauschen sich darüber aus, wie die Informationsflut gebändigt werden kann.

Sprachliche Barrieren

Ein Problem haben Cochrane und Wikipedia gemeinsam: Die meiste Information existiert auf Englisch. Doch nur sechs Prozent der Weltbevölkerung sprechen Englisch. Und selbst Ärzte, die die Sprache gut beherrschen, setzen Informationen eher um, wenn sie sie in ihrer Muttersprache erhalten.

Cochrane bemüht sich verstärkt, das Wissen in mehreren Sprachen aufzubereiten, und auch Wikipedia bewegt sich in diese Richtung. Denn mit seiner enormen Reichweite können weltweit Leben gerettet werden, wenn Informationen schnell, unkompliziert und in der jeweiligen Landessprache zur Verfügung stehen. (Gerald Gartlehner, 9.10.2015)