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Zerstörungen nach einem IS-Anschlag im Irak: Angesichts der Sicherheitssituation werden Rufe nach einer russischen Intervention lauter.

Foto: AP / Nabil al-Jurani

Bagdad/Wien – Wie hältst du’s mit den Russen – das scheint die neue Gretchenfrage im syrisch-irakischen Konflikttheater zu sein. Nicht immer ist die Antwort so eindeutig, wie es die USA von den von ihnen unterstützten Akteuren erwarten. Der exemplarische Fall ist der Irak, wo Premier Haidar al-Abadi zwar bestimmt nicht von US-Gnaden regiert – das tat auch sein Vorgänger, der schon 2006 ins Amt gekommene Nuri al-Maliki, nicht –, aber in einem engen strategischen Bündnis mit Washington steckt.

2008 wurde nämlich nicht nur das Sofa (Status of Forces Agreement) vereinbart, das die US-Truppenpräsenz bis 2011 regelte, es wurde auch ein SFA (Strategic Framework Agreement) abgeschlossen. Für das Bündnis mit den USA gab es aber auch stets eine starke strategische Konkurrenz: die Iraner. Und da kommt nun auch noch Russland dazu.

Schrillende Alarmglocken

Abadi wurde am Rande der Uno-Vollversammlung in New York belauert: Was wird er zur russischen Intervention in Syrien sagen? Die Alarmglocken begannen zu schrillen, als bekannt wurde, dass Russland, der Iran, Syrien und der Irak beschlossen hatten, in Bagdad eine gemeinsame Informationszentrale einzurichten.

Abadi selbst beschleunigte danach die Spekulationen. Von France 24 TV gefragt, ob er mit Russland bereits über russische Militärschläge gegen den "Islamischen Staat" (IS) im Irak diskutiert habe, antwortete er laut Reuters: "Noch nicht. Es ist möglich. Wenn wir das Angebot bekommen, werden wir es uns ansehen – und ich würde es begrüßen." Der russische Außenminister Sergej Lawrow betonte daraufhin, dass Moskau "nicht eingeladen wurde".

"Eine größere Rolle als die Amerikaner"

Hängt es also nur von einer Einladung ab? Abadi versäumte im Interview nicht, darauf hinzuweisen, dass der Irak von den USA enttäuscht sei: "Wir hatten von der internationalen Koalition, von den Amerikanern, erwartet, dass sie mit einer massiven Luftmacht kommen, um unsere Sicherheitskräfte zu schützen. Das ist nicht eingetreten. Im Moment erhalten wir Unterstützung, aber keine hochgradige, sie ist beschränkt. Das Einzige, was für uns wichtig ist, ist, wie man am besten Daesh (den IS, Anm.) bekämpft."

Es gibt tatsächlich Anzeichen, dass die Iraker die Einladung an Russland bald aussprechen könnten: Hakim al-Zamili, der Chef des Verteidigungs- und Sicherheitskomitees im irakischen Parlament, sprach am Mittwoch davon, dass in den "nächsten Tagen oder Wochen" die Entscheidung fallen werde. Das hänge vom Erfolg der russischen Luftschläge in Syrien ab. Auch bei ihm fehlte die Spitze gegen die USA nicht: Russland solle eine größere Rolle im Irak spielen, definitiv eine größere als die Amerikaner.

Einseitige Freudenbekundungen

Man kann das natürlich auch als Aufforderung an Washington verstehen, sich mehr zu engagieren. Noch sind die USA im irakischen Staat vorn, was den Einfluss anbelangt, und können es bleiben – aber nicht gratis.

Geradezu enthusiastisch nehmen im Irak jene schiitischen Milizen, die dem Iran nahestehen, die Idee einer russischen Intervention im Irak auf. Eine Crux des Kriegs gegen den IS im Irak ist tatsächlich, dass die USA nicht mit diesen Milizen und diese natürlich auch nicht mit den USA kooperieren können. Die Kosten sah man ganz deutlich bei der langen Wiedereinnahme von Tikrit: Da mussten zuerst einmal die schiitischen Milizen scheitern, bevor Bagdad wieder offiziell das Ruder übernehmen und die für einen Durchbruch nötige US-Hilfe aus der Luft abrufen konnte.

Beliebt sind die Russen aber nicht nur bei den irakischen schiitischen Milizen: Präsident Wladimir Putin kommt nun zur Ehre, gemeinsam mit dem Chef der schiitischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, in Damaskus plakatiert zu werden, plus dem iranischen Religionsführer Ali Khamenei und dem Profiteur der ganzen Angelegenheit, dem syrischen Staatschef Bashar al-Assad: als "Männer, die sich vor niemandem außer Gott beugen". Ein Plakat, das geradezu dafür gemacht scheint, alle sunnitischen Gruppen in Syrien zu einem neuen Jihad gegen Russland zu mobilisieren.

Interesse der Kurden

Viel ärgerlicher muss es jedoch für die USA sein, dass die von ihnen militärisch unterstützten syrischen Kurden bei manchen Analytikern in den Verdacht kommen, mit der neuen russisch-syrischen Offensive zu sympathisieren: Denn diese könnten ihnen helfen, ihr Einflussgebiet weiter auszudehnen, das heißt, das Projekt des Zusammenschlusses der kurdischen Gebiete in Syrien ("Rojava") weiter voranzutreiben. Dies wollen die USA, die durch ihre Luftoffensive gegen den IS in Syrien die kurdische Konsolidierung möglich gemacht haben, nicht: aus Rücksicht auf die Türkei. Abwartend verhalten sich auch die irakischen Kurden – wobei hier aber großes Interesse an stabilen Beziehungen zu Ankara besteht. (Gudrun Harrer, 8.10.2015)