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Wirtschaftskammerpräsident Leitl klagt: "Wir Unternehmer sind die Buhmänner."

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Arbeiterkammerchef Kaske sieht die Gegenseite unter Einfluss "neoliberaler Strömungen".

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Wien – Als Turbo für jede noch so lahme große Koalition: So stellen sich die Sozialpartner gerne dar. Da könne sich die Regierung bis zur Handlungsfähigkeit zerstreiten – das jahrzehntelang erprobte Gespann aus Vertretern von Arbeitgebern und -nehmern komme immer auf einen grünen Zweig.

Heute steht dieses Selbstbild auf dem Kopf. Zwei quälende Jahre lang haben Wirtschaftskammer und Gewerkschaft über ein Arbeitsmarktpaket verhandelt, um am Ende genau gar nichts zu beschließen. Statt sich, wie es die sozialpartnerschaftliche Kultur gebietet, in der Mitte zu treffen, stehen beide Seiten mit leeren Händen da. Extra peinlich: Ausgerechnet von den Koalitionsparteien, landläufig selbst als Verwalter des Stillstands verschrien, müssen sich die gescheiterten Verhandler nun ermahnen lassen.

Kein Fußbreit nachgeben

Früher hätten die Sozialpartner ein Projekt wie dieses – keinesfalls ein Jahrhundertwurf – wohl routiniert über die Bühne gebracht, räumt Bernhard Achitz, leitender Sekretär des Gewerkschaftsbundes (ÖGB), ein: "Man konnte über fast alles reden. Doch nun habe ich das Gefühl, dass kein Fußbreit nachgegeben wird." Nachsatz: "Aber das liegt nicht an uns."

Tatsächlich waren es die Wirtschaftsvertreter, die letztlich lieber auf das ganze Paket verzichteten, als einen leichteren Zugang zur sechsten Urlaubswoche zu akzeptieren. "Forderungen können nie Einbahnstraßen sein", kritisiert Arbeiterkammerpräsident Rudolf Kaske. Wenn sich die Wirtschaft also etwa flexiblere Arbeitszeiten wünsche, müsse sie ihrerseits auch entgegen kommen. Hinter der harten Haltung der Gegenseite wittert Kaske "neoliberale Strömungen": "Die Wirtschaftskammer wird von der Industriellenvereinigung getrieben."

Überforderte Unternehmer

Wie Getriebene fühle sich seine Klientel tatsächlich, hält Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl dagegen – jedoch aus ganz anderen Gründen. "Frust und Bitterkeit herrscht unter den Unternehmern", sagt er. "Sie sind die Buhmänner, werden als potenzielle Betrüger hingestellt." Das Gesetz gegen Lohn- und Sozialbetrug, das keinesfalls nur ausländischen Firmen schärfere Kontrollen beschert, empfinden Wirtschaftstreibende ebenso als Schikane wie die Registrierkassenpflicht – und die nächste Hürde, sagt Leitl, sei das Gebot der Barrierefreiheit, das die Unternehmen bereits bis Ende des Jahres umsetzen müssen. Dabei schrieben viele Betriebe im achten Jahr der Krise immer noch rote Zahlen.

Dass die Arbeitnehmervertreter, ohnehin mit einer Lohnsteuersenkung bedient, in dieser Situation nun auch noch eine sechste Urlaubswoche, hohe Lohnabschlüsse und, und, und fordern, ärgert die schwarze Gegenseite maßlos. "Das ist derzeit nicht leistbar", sagt Leitl, zumal das Geld viel dringlicher für das Flüchtlingsproblem gebraucht werde. Das Fass zum Überlaufen bringe, wenn Arbeiterkämmerer in Bundesländern "von Lohnraub und Ausbeutung sprechen, als lebten wir noch im 19. Jahrhundert".

Provokante Kampagnen

Ihren Tonfall haben die Arbeitnehmervertreter nicht erst seit gestern verschärft. Vor etwa zehn Jahren begannen die Interessenvertreter, ihre Kampagnenfähigkeit aufzumöbeln – um am Verhandlungstisch verlorene Durchsetzungskraft zu kompensieren, wie der Innsbrucker Politologe Ferdinand Karlhofer sagt. Die Logik der globalisierten – Kritiker sagen: neoliberalen – Wirtschaftsordnung hatte das Gewicht ins Lager der Unternehmer verschoben, zudem steckte der ÖGB nach dem Bawag-Skandal tief in der Misere.

Die Ende 2008 ausgebrochene Wirtschaftskrise, von roter Seite als kapitalistisches Systemversagen interpretiert, stachelte die Angriffigkeit so richtig an. Weil die alten Rezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – teure Investitionsprogramme – wegen der strengen Budgetregeln kaum noch möglich sind, verlegten sich die Arbeitnehmer auf Forderungen, die auf der Gegenseite als Tabus gelten: Vermögenssteuern etwa, oder Arbeitszeitverkürzung. Pointierte Kampagnen für derartige Anliegen spießen sich mit der Rolle des verbindlichen Sozialpartners.

Gegenseitige Existenzgarantie

Gerät die ewige Konsensmaschine also dauerhaft ins Stottern? "Uns ist es noch immer gelungen, Dissonanzen aufzulösen", erwidert der rote Kaske, während der schwarze Leitl auf Einigkeit in anderen Fragen wie der Bildung verweist. Außerdem habe er bei der jährlichen, am Mittwoch zu Ende gegangenen Tagung der Sozialpartner in Bad Ischl "ausgezeichnete" Gespräche geführt – wenn auch zum geduldigen, weil eher unverbindlichen Thema "digitale Wirtschaft und Arbeitswelt".

"Sogar in der Blütezeit der Sozialpartner gab es Streiks und Säbelrasseln", gibt der Experte Karlhofer zu bedenken. Dass es für die Akteure klug ist, sich gegenseitig leben zu lassen, statt zu überfordern, gebiete schon die Verfassung: Mit dem Niedergang einer Kammer falle auch die Existenzberechtigung der anderen weg.

(Gerald John, 7.10.2015)