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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan traf auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Eine Einigung in Sachen Flüchtlinge gab es noch nicht.

Foto: REUTERS/Francois Lenoir

Hunderttausende Migranten sind seit Jahresbeginn von der Türkei aus über eine der Inseln nach Griechenland gekommen. Die meisten von ihnen waren Flüchtlinge aus Syrien und wanderten über die sogenannte "Balkanroute" in den Norden der EU weiter.

In türkischen Lagern und in den Städten harren noch immer rund zwei Millionen Menschen aus – kein anderes Land hat von dem im benachbarten Syrien seit vier Jahren tobenden Bürgerkrieg mehr Flüchtlinge aufgenommen als die Türkei. Sollte der Konflikt sich weiter verschärfen, wofür es nach dem militärischen Eingreifen Russlands zugunsten des Regimes von Präsident Assad deutliche Anzeichen gibt, so könnten es bald noch mehr werden.

Erster Staatsbesuch seit langem

Die unvermeidbare Folge wäre wohl, dass weitere hunderttausende Flüchtlinge nach Europa wandern, zusätzlich zu der offiziell prognostizierten Zahl von bis zu 800.000 allein für Deutschland bis Ende 2015. Das war der Hintergrund, warum die Spitzen der Europäischen Union in Absprache mit den wichtigsten Staats- und Regierungschefs der Union Recep Tayyip Erdoğan am Montag bei seinem ersten Staatsbesuch in Brüssel nach längerer Pause ein umfangreiches Paket zur politischen Zusammenarbeit in Sachen Flüchtlingshilfe und Grenzkontrolle vorlegten.

Die EU wäre bereit, der Türkei eine Milliarde Euro und mehr bereitzustellen, um die Betreuung der Flüchtlinge auf türkischem Boden zu unterstützen. Medienberichte, wonach weitere sechs Lager für zwei Millionen Flüchtlinge gemeinsam errichtet werden sollen, wurden aus Kreisen der Kommission als "übertrieben" zurückgewiesen. Dafür soll es aber politische Zugeständnisse an die Türkei geben, die das Land in seinem Status als EU-Beitrittskandidat aufwerten würden – trotz der scharfen Kritik der Union wegen der Verletzungen von Menschenrechten und Pressefreiheit, der staatlichen Gewalt gegen die Kurden. So soll es unter der Aufsicht der EU-Grenzbehörde Frontex bald eine gemeinsame Überwachung und Patrouillen in der Ostägäis geben.

Sicheres Drittland

Die Türkei soll auch wieder als "sicheres Drittland" für abgewiesene Asylwerber eingestuft werden, ein Status, den die EU-Innenminister Ankara zuletzt abgesprochen haben. Abgelehnte Asylwerber wollen die EU-Staaten damit in die Türkei abschieben können. Inwieweit das Land auf diese Angebote eingeht, war zunächst schwer abzuschätzen. Erdoğan äußerte sich dazu indirekt tags zuvor bei einer Rede vor Anhängern seiner AKP-Partei eher negativ. Seine Regierung wies das Geldangebot zurück. Der Präsident wünschte sich seinerseits zum einen den Plan, in Syrien an der Grenze zur Türkei (im Kurdengebiet) eine "Sicherheitszone" einzurichten, was die EU und die USA bisher ablehnten. Laut Parlamentspräsident Martin Schulz ginge das nur mit UN-Mandat.

Zum anderen drängt Ankara auf die Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen und ein Abkommen zur Visafreiheit. Dagegen sperren sich wichtige Länder wie Deutschland und Frankreich, aber auch Österreich. Beim EU-Gipfel kommende Woche soll über das weitere Vorgehen entschieden werden. Auf Expertenebene sollte das Flüchtlingspaket bis dahin ausverhandelt werden. (Thomas Mayer aus Brüssel, 6.10.2015)