Dank der Entschlossenheit des österreichischen Vorsitzes bei der politischen Koordination unter Finanzminister Hans Jörg Schelling konnten jüngst spürbare Fortschritte beim Projekt Finanztransaktionssteuer erreicht werden. Was jahrelang erfolglos auf EU-Ebene diskutiert wurde, scheint in greifbare Nähe gerückt: die Einhebung einer Finanztransaktionssteuer zumindest in einer Pilotgruppe von elf EU-Ländern. Gelänge es wirklich, eine umfassende Steuer auf Umsätze mit Finanztiteln – von Aktien über Devisen bis zu hochspekulativen Derivaten – zu implementieren, wäre dies zunächst aus ökonomischen Gründen sinnvoll.

Begrenzung kurzfristiger spekulativer Transaktionen

Die Finanztransaktionssteuer ist ein wichtiges Element im Instrumentenkasten zur Begrenzung kurzfristiger spekulativer Transaktionen, die das Funktionieren der Finanzmärkte beeinträchtigen können. Hierfür würden bereits sehr geringe Steuersätze, die langfristig angelegte Transaktionen kaum beträfen, ausreichen. Wegen der breiten Steuerbasis erbrächte die Finanztransaktionssteuer auch mit relativ geringen Sätzen erhebliche Einnahmen. Nach einer Schätzung des Wifo könnte mit einem Steuersatz von 0,1 Prozent auf Wertpapiertransaktionen und 0,01 Prozent auf Umsätze von Derivaten – der ursprüngliche Vorschlag der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2013 – ein Aufkommen von bis zu 66 Milliarden Euro für die elf beteiligten EU-Länder erzielt werden: Das entspricht fast der Hälfte des EU-Budgets. Auf Österreich könnte über eine Milliarde Euro entfallen.

Wenn auch die "Koalition der Willigen" aktuell geringere Sätze anstrebt, so könnten diese immer noch ein substanzielles Steueraufkommen generieren. Die Finanztransaktionssteuer kann also eine doppelte Dividende erbringen: Sie würde destabilisierende Transaktionen auf den Finanzmärkten reduzieren und gleichzeitig für bedeutende Steuereinnahmen sorgen, die sinnvoll eingesetzt werden können.

Steuern könnten gesenkt werden

So können etwa mit den Einnahmen andere Steuern gesenkt werden, die Wachstum und Beschäftigung beeinträchtigen. Dies betrifft insbesondere die Abgaben auf Arbeit, deren in so gut wie allen EU-Ländern hohes Niveau gerade erst wieder von den EU-Finanzministern problematisiert wurde. Dieser Zusammenhang wird nach wie vor – auch im vor einigen Tagen veröffentlichten Bericht der EU-Kommission über Steuerreformen in den EU-Ländern – weitgehend ignoriert: Die Hauptursache für die hohen arbeitsbezogenen Abgaben ist die zunehmende Unmöglichkeit, mobile Steuerbasen wie Finanztransaktionen, Unternehmensgewinne oder umweltverschmutzende Aktivitäten national zu besteuern.

Daneben wäre die Symbolkraft einer innerhalb einer größeren Ländergruppe koordiniert eingeführten Finanztransaktionssteuer enorm. Sie würde die Handlungsfähigkeit zumindest einer bedeutenden Anzahl von EU-Ländern demonstrieren. Sie würde illustrieren, dass steuerpolitischer Fortschritt in der EU trotz des überholten Einstimmigkeitsprinzips möglich ist, wenn nur der entsprechende politische Wille vorhanden ist. Und sie könnte schließlich auch den bestehenden steuerpolitischen Stillstand in der EU auflösen: wenn die zunächst regional begrenzte Einführung erfolgreich ist und so auch die zunächst nicht teilnehmenden Länder von den Vorteilen einer Finanztransaktionssteuer überzeugt.

Nahezu perfekte EU-Steuer

Das Beispiel der Finanztransaktionssteuer ist für eine zukunftsorientierte EU-Steuerpolitik auch deshalb so wichtig, weil sie eine nahezu perfekte EU-Steuer wäre: Sie kann am effektivsten durchgesetzt werden, wenn alle EU-Länder sie in einer einheitlichen Variante implementieren. Positive Erfahrungen mit der Finanztransaktionssteuer könnten die Erfolgschancen weiterer potenzieller EU-Steuern, wie etwa der Flugticketabgabe, vergrößern. Eine Einführung dieser Steuern als EU-Steuern, deren Einnahmen der EU zur Finanzierung eines Teils ihres Budgets zufließen, hätte zwei Vorzüge. Einerseits könnten die Finanzierungsbeiträge der EU-Länder gesenkt werden, diese könnten dafür andere Steuern mit weniger günstigen Wirkungen senken. Andererseits könnte ein Teil der Einnahmen in den Ausbau europäischer öffentlicher Güter fließen. Für grenzüberschreitende Forschungs- und Bildungsaktivitäten oder nachhaltige öffentliche Verkehrsinfrastruktur; aber auch zur Bewältigung der Flüchtlingskrise: konkret eine auf Basis einheitlicher humanitärer Standards vergemeinschaftete solidarische Asylpolitik sowie eine deutliche Aufstockung der Hilfen an die Herkunftsländer der Schutzsuchenden.

Umschichtungen im Budget

Die genannten zukunftsorientierten Ausgaben können teils aus Umschichtungen im bestehenden EU-Budget finanziert werden, etwa weg von den nach wie vor hohen Agrarausgaben. Darüber hinaus ist aber wohl auch der geltende EU-Finanzrahmen, der gegenüber seinem Vorgänger trotz wachsender Herausforderungen gekürzt wurde, wieder aufzustocken. EU-Steuern wie die Finanztransaktionssteuer sollten hierfür als zukunftsfähige Finanzierungsquelle ernsthaft geprüft werden. (Margit Schratzenstaller, 4.10.2015)