Kleine oder größere Steuergeschenke erhalten die Freundschaft: Konzerne wie Amazon, Ikea, Google, Apple, Eon oder Deutsche Bank müssen vor der EU auch künftig keinen Steuerstriptease fürchten.

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Viele lobende Worte werden die EU-Finanzminister finden, wenn sie am Dienstag das Gesetz zum Austausch sogenannter Steuervorbescheide beschließen. Tatsächlich galt es lange als unvorstellbar, dass die nationalen Finanzbehörden einmal automatisch von ihren Kollegen in den Nachbarstaaten erfahren würden, wie diese welche ausländischen Unternehmen besteuern. Die Empörung über die Ministeuern großer Multis speziell nach den Enthüllungen aus Luxemburg ("Luxleaks") vor einem Jahr zwang Wolfgang Schäuble & Co nun auch dazu, sich in Rekordzeit zu einigen bei einem Thema, bei dem die EU-Verträge noch Einstimmigkeit vorsehen.

Alles bestens ist damit aber nicht: Auf dem Weg zum Kompromiss ist die Gesetzesinitiative der EU-Kommission vom März massiv verwässert worden. Aus der Beschlussvorlage für die Minister, die dem STANDARD vorliegt, ist ersichtlich, dass zentrale Punkte weniger strikt sind, als der für Steuerdinge zuständige Kommissar, Pierre Moscovici aus Frankreich, vorgeschlagen hatte.

So müssen künftig bis zu fünf Jahre alte Steuervorbescheide, in denen die Steuerbehörden einem Unternehmen darlegen, wie sie konzerninterne Verrechnungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft oder Lizenzgebühren steuerlich behandeln werden, an die möglicherweise betroffenen Staaten übermittelt werden. Die Kommission hatte eine Rückwirkung von zehn Jahren vorgeschlagen, weil manche dieser "Tax Rulings" länger als fünf Jahre gelten.

Nicht zu tief in den Keller

Für die kürzere Frist und damit einen schlechteren Überblick über verschiedene Steuervermeidungsmodelle setzten sich EU-Diplomaten zufolge nicht nur die Niederlande mit ihrem berüchtigten Starbucks-Hauptsitz ein, sondern auf Geheiß der deutschen Bundesländer, die einen großen Teil der Steuerverwaltung unter sich haben, auch die Bundesregierung in Berlin: Die Finanzverwaltungen in den Ländern hätten, heißt es, "sonst tief in den Keller steigen müssen". In einem Beschluss des Bundesrats vom Mai ist etwas eleganter von "verwaltungsökonomischen Gründen" dafür die Rede, dass man die Informationspflicht am liebsten "nur für zukünftig erteilte Tax Rulings" gesehen hätte.

Für die gravierendste Änderung gegenüber dem Ursprungsvorschlag sind die Länder ebenfalls mitverantwortlich: Einsicht in die ausgetauschten Vorbescheide erhalten nur die Behörden der Länder, denen dadurch eventuell Steuereinnahmen entgehen oder bereits entgangen sind – nicht jedoch die EU-Kommission. Sie erfährt gemäß Artikel 6 des neuen Gesetzes nur vom Datum der Bescheide und deren Gesamtzahl, die Namen der begünstigten Unternehmen bleiben ihr aber ebenso verborgen wie die Summen, um die es geht.

Anonymisierte Daten

In Berlin wird abgewiegelt. "Die Kommission erhält die Daten auch – aber in anonymisierter Form", sagt ein EU-Diplomat. Das ist ganz im Sinne des Bundesratsbeschlusses, der die Weitergabe "sensibler Daten" nach Brüssel als "nicht verhältnismäßig" kritisierte: Wenn die nationalen Behörden künftig erführen, dass sich ein Unternehmen im EU-Ausland bei den Abgaben einen schlanken Fuß macht, könnten diese schon selbst die Konsequenzen ziehen.

Das stimmt aber nur zum Teil. Wenn nämlich die Wettbewerbskommission, die gegen Irland und Apple sowie Amazon und Luxemburg bereits ermittelt, keine weiteren Firmennamen erfährt, kann sie auch keine neuen Beihilfeverfahren wegen indirekter steuerlicher Subventionierung eröffnen, an deren Ende Milliardenstrafen für Konzerne stehen. Die EU nutzt damit ihr schärfstes Schwert gegen deren Steuervermeidungsstrategien nicht. Auch ein Zentralregister nach Vorbild der Schweiz, wo Kantone in einem fairen Steuerwettbewerb stehen, kommt nicht. Obwohl Moscovici es für unabdingbar erklärt hat, dass seine "Kommission im Zentrum" der neuen Gesetzgebung stehen müsse. Er wird sicher dennoch sehr viel lobende Worte finden. (Christopher Ziedler aus Brüssel, 5.10.2015)