Paris/Moskau/Washington – Russland will seine umstrittene Militärkampagne in Syrien ausweiten. Die Zahl der Luftangriffe auf die "Terroristen" werde erhöht, teilte die russische Armee am Samstag mit. Den ebenfalls über Syrien operierenden USA empfahl die russische Armee, ihre Flüge in den betroffenen Gebieten einzustellen. Man setze Washington im Voraus von Luftangriffen in Kenntnis, meldete die Agentur Interfax.

Allein in den vergangenen 72 Stunden habe Russland 60 Flüge ausgeführt, hieß es. Dabei sei das militärische Potenzial der "Terroristen" wesentlich geschwächt worden. 50 Ziele der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" seien getroffen worden.

Angriffe in der Nacht

Die russische Luftwaffe hat nach Angaben von Aktivisten in der Nacht auf Samstag neue Angriffe auf Stellungen der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien geflogen. Mehrere Angriffe hätten auf Stellungen im Westen der IS-Hochburg Raqqa im Nordosten des Landes abgezielt, sagte der Chef der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman.

Die Detonationen seien bis in die Stadt zu hören gewesen. Nähere Angaben zu den Zielen machte Rahman aber nicht. Die Beobachtungsstelle stützt sich auf ein Netzwerk von Informanten, ihre Angaben sind von unabhängiger Seite aber kaum überprüfbar.

Der IS kontrolliert die gesamte Provinz Raqqa, die dort gelegene gleichnamige Stadt wird als Hauptstadt der Extremisten angesehen. Raqqa ist seit dem Jahr 2013 IS-Hochburg. Am Donnerstag attackierte die russische Luftwaffe die Provinz erstmals seit dem Beginn ihre Luftangriffe am Mittwoch.

Unterstützung Assads

Nach Angaben aus Moskau richten sich die russischen Angriffe gegen die Milizen IS und Al-Nusra-Front sowie gegen andere "Terroristengruppen". Westliche und arabische Staaten werfen Moskau aber vor, auch gemäßigte Rebellengruppen zu bombardieren. Demnach dienen die Angriffe weniger dem Kampf gegen die Jihadisten als vielmehr der Unterstützung des syrischen Staatschefs Bashar al-Assad.

Der Beobachtungsstelle zufolge trafen russische Angriffe am Donnerstag auch ein Krankenhaus in der westlichen Provinz Hama, wobei Ärzte verletzt worden seien. Der IS sei in dieser Region nicht aktiv.

Die stellvertretende Vorsitzende des Aktionsbündnisses Freies Syrien, Nahla Osman, verurteilte indes die russischen Bombardements in Syrien scharf. Sie warf Russlands Präsident Wladimir Putin vor, gezielt Stellungen der gemäßigten Freien Syrischen Armee (FSA) anzugreifen. "Der Krieg gegen den Terror spielt für Putin gar keine Rolle", sagte die Juristin aus Rüsselsheim im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), wie Kathpress berichtete. Putin wolle nur seinem Verbündeten Assad helfen.

Appell an Putin

Bei einem Treffen in Paris haben die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande am Freitag den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgerufen, in Syrien nicht die gemäßigten Rebellen anzugreifen. Moskau wies erneut die Kritik am eigenen Vorgehen zurück. Die syrische Regierung erklärte sich indes zur Teilnahme an neuen Verhandlungen unter UN-Vermittlung bereit.

Merkel und Hollande hatten vor dem Ukraine-Gipfel in Paris mit Putin Gespräche zu Syrien geführt. Merkel sagte am Freitagabend, sie habe "sehr deutlich gemacht", dass die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) der Feind sei, den es zu "bekämpfen" gelte. Auch habe sie klar gemacht, dass es für Syrien eine politische Lösung geben müsse, die auch die Interessen der Gegner von Staatschef Bashar al-Assad widerspiegle, sagte Merkel. Diese Opposition habe die "Unterstützung" Frankreichs und Deutschlands.

Hunderttausende Tote vor IS

"Wir dürfen nicht vergessen, was in den letzten Jahren passiert ist in Syrien", mahnte die deutsche Kanzlerin. "Hunderttausende, muss man heute leider schon sagen, haben ihr Leben verloren, bevor der IS da war, und durch das, was Assad seinem Volk angetan hat."

Hollande betonte ebenfalls, die russischen Luftangriffe dürften "nur" den Islamischen Staat treffen. Deutschland, Frankreich und fünf weitere Staaten hatten in der Nacht zu Freitag bereits eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in dem sie Russland vor Angriffen auf gemäßigte Rebellen warnten und Moskau vorwarfen, mit den Angriffen den Bürgerkrieg weiter anzuheizen. Russland hatte jedoch angekündigt, in Syrien nicht nur den IS bekämpfen zu wollen, sondern auch andere islamistische Terrorgruppen wie den Al-Kaida-Ableger Nusra-Front. Die oppositionelle Freie Syrische Armee wird von Moskau hingegen anerkannt.

Obama: Russische Luftangriffe stärken IS

Westliche und arabische Staaten verdächtigen Russland, nicht in erster Linie die IS-Jihadisten bekämpfen, sondern vor allem den angeschlagenen Machthaber Assad stützen zu wollen. So hat auch US-Präsident Barack Obama angeprangert, Russland schwäche die gegen das Assad-Regime kämpfende, gemäßigte Opposition. "Die russische Politik treibt (die Rebellen) in den Untergrund oder erzeugt eine Situation, in der sie geschwächt werden, und das stärkt den IS nur. Und das ist für niemanden gut", sagte Obama am Freitag in Washington.

Putin lies die Kritik der westlichen Staaten umgehend zurückweisen. In Gesprächen mit Hollande habe der Präsident betont, dass die Attacken nur dem IS und der Al-Nusra gelten würden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Paris der Agentur Interfax zufolge. "Die Operation in Syrien wird von der russischen Luftwaffe in strenger Übereinstimmung mit den Prinzipien des Völkerrechts verwirklicht – in diesem Fall auf Bitte der syrischen Führung." (red, APA, 3.10.2015)