Bruno Kreiskys Aufstieg zum Kanzler 1970 kam auch durch FPÖ-Chef Friedrich Peter (re.) zustande.

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1975 deckte Simon Wiesenthal auf, dass Peter Mitglied einer SS-Brigade war, deren Zweck der Judenmord in Russland war. Kreisky nahm Peter vehement in Schutz und schmiedete mit ihm 1983 eine rot-blaue Koalition.

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Diese Geschichte spielt in jener fernen, fernen Zeit, als die Sozialdemokratische Partei Österreichs bei Nationalratswahlen noch absolute Mehrheiten hatte, und zwar gleich dreimal hintereinander: 1971, 1975, 1979. Die goldene Kreisky-Zeit also.

Unmittelbar nach dem Wahlgang am 5. Oktober 1975 (SPÖ 50,4 Prozent) brach jedoch eine Affäre los, die Österreich erschütterte und internationales Aufsehen erregte. Es ging, wie fast immer, um die unbewältigte NS-Vergangenheit. Simon Wiesenthal, der Aufklärer von NS-Verbrechen und Kritiker des überaus schlampigen Umgangs der Republik Österreich mit diesen, hatte herausgefunden, dass ein gewisser Friedrich Peter, geboren 1921, im Range eines Unterscharführers bei der 1. SS-Infanteriebrigade (mot.) gewesen war. Dieser Friedrich Peter war nun seit 1968 Obmann der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ).

Freiwillig zur SS

Der Sohn eines sozialdemokratischen Eisenbahners hatte sich freiwillig zur SS (zur Allgemeinen, nicht zur Waffen-SS, wie er später behauptete) gemeldet. Er war im Februar 1938 der illegalen Hitlerjugend beigetreten. Das regte 1975 in Österreich nur wenige auf. Er war halt, wie so viele andere auch, jung, "verführt" – und ein "Schlussstrich" war ja zwanzig Jahre nach Kriegsende fällig. Es war auch immer bekannt, dass er bei der SS gewesen war, bei Kriegsende im Offiziersrang.

Peter beschwerte sich auch noch, "Opfer der politischen Verfolgungen nach 1945" geworden zu sein. Verfolgungen, "die echtes Soldatentum ebenso diskriminierten wie ehrlichen politischen Idealismus".

Massenweise Zivilisten erschossen

Allerdings wurde im Oktober 1975 durch Simon Wiesenthal bekannt, wie das "echte Solda- tentum" der Einheit von Friedrich Peter ausgesehen hatte. Die 1. SS-Infanteriebrigade (mot.) tat im Krieg gegen die Sowjetunion von Juni bis Anfang Dezember 1941 nichts anderes, als im Hinterland massenweise Zivilisten zu erschießen. Vor allem Juden. Etwa 17.000, Frauen und Kinder inklusive.

Diese Tatsache hatte Simon Wiesenthal, wohldokumentiert, aufbereitet. Er gedachte sie für den Fall, dass Bruno Kreisky nach den Wahlen am 5. Oktober 1975 eine Koalition mit der FPÖ eingehen wollte, zu veröffentlichen.

Peter ebnete Kreiskys Weg

Dass Kreisky überhaupt Kanzler wurde, hatte sehr viel mit Friedrich Peter und der FPÖ zu tun. Nach der Wahl 1970, bei der die SPÖ 48,4 Prozent erreichte, ermöglichte ihm eine Absprache mit Peter, eine Minderheitsregierung zu wagen. Nach einem Jahr ließ er neu wählen und bekam 50 Prozent. 1975 war für den Fall eines Verlusts der absoluten Mehrheit eine Koalition mit der FPÖ angedacht. Die wurde aber mit einer erneuten "Absoluten" hinfällig. Wiesenthal veröffentliche das Material trotzdem im "Profil".

Kreisky rastete aus. In Pressekonferenzen sagte er: "Es ist für mich viel mehr eine Affäre Wiesenthal als eine Affäre Peter ... Es war eine Aktion, hauptsächlich gegen mich gerichtet, nämlich im Fall einer kleinen Koalition ... Ich kann Ihnen versichern, dass Herr Wiesenthal eine andere Beziehung zur Gestapo hatte als ich ... Das ist beweisbar! ...Ich kann Ihnen sagen, dass ein Mann wie er nach all dem nicht das Recht hat, die Rolle einer moralischen Institution zu spielen. ... Der Mann muss gehen."

U-Ausschuss gegen Wiesenthal gefordert

Dieses Stichwort griffen die SP-Jungpolitiker Leopold Gratz und Heinz Fischer beflissen auf. Fischer forderte sogar einen Untersuchungsausschuss gegen Wiesenthal (er hat es später bedauert). Die Krone fuhr eine üble Kampagne gegen Wiesenthal.

Die Ungeheuerlichkeit, dass das Mitglied einer Mordbrigade Abgeordneter, Parteichef und womöglich Vizekanzler in einem demokratischen Staat sein konnte und dass ein Bundeskanzler diesen Mann in Schutz nahm und den Aufdecker verleumdete (auf der Basis von gefälschten Ostblock-Akten), wurde lediglich im "Profil" von dessen Chefredakteur Peter Michael Lingens und im "Kurier" grundsätzlich erörtert. Der Rest war Verdrängung und Verleugnung.

Man war nur zu gern bereit, Friedrich Peters Erklärung zu akzeptieren: "Ich habe meine Militärdienstzeit in der 1. SS-Infanterie-Brigade und in der 2. SS-Panzerdivision ,Das Reich' von 1941 bis 1945 abgeleistet. Dabei habe ich weder innerhalb noch außerhalb dieses Zeitraumes an Erschießungen noch sonstigen Repressalien teilgenommen."

Peters glatte Lüge

Zusätzlich sagte Peter noch, er habe von den Massenmorden seiner Einheit nie etwas erfahren. Das war eine glatte Lüge. Weil ein Ding der Unmöglichkeit.

Peters Einheit war nichts anderes als ein "Wegbereiter der Shoa" (Buch von Martin Cüppers), ein Instrument des Vernichtungskriegs im Osten. Die 1. SS-Infanteriebrigade stand (wie andere Einheiten dieser Art) nicht unter dem Befehl der Wehrmacht, sondern unter dem des "Reichsführers SS", Heinrich Himmler. Sie sollte laut Himmler ausdrücklich nicht an der Front, sondern "zur Säuberung der rückwärtigen Gebiete" eingesetzt werden.

Unbarmherzig "gesäubert"

"Gesäubert" wurde unbarmherzig – und unter ideologischen Vorwänden. Das "Kriegstagebuch" des "Kommandostabs Reichsführer SS" dokumentiert es minutiös.

Eine typische Meldung lautet:

"SS-I.R.10 führte am 4.8.41 ... in Ostrog, in Hrycow, in Kuniow und Radohoszcz eine Säuberungsaktion durch. In diesen Orten haben insbesondere die Juden bolschewistischen Banden Vorschub geleistet. Die Aktionen begannen am 4.8./4.45 Uhr und wurden um 20 Uhr beendet. Ergebnis: Erschossene Juden Ostrog 732 Männer, 225 Frauen, Hrycow (268), Kuniow (109, 50). Ehem. russ. Soldaten (Freischärler) 1. Insgesamt also 1385 Personen."

Ein Mitglied von Peters 5. Kompanie sagte in einem Kriegsverbrecherprozess 1976 in München über eine Aktion vom 4. 9. 1941 ebendieser Kompanie in der Ortschaft Leltschitzky aus: "... erklärte uns Obersturmführer Lohse, dass Juden grundsätzlich als Partisanen zu gelten haben, weil sie hinter der Sache stünden. Es wurde weiter gesagt, dass die Juden zu liquidieren seien ... Die Juden wurden gesammelt und außerhalb des Dorfes erschossen ... Es waren Männer und Frauen, Kinder habe ich nicht gesehen ... Ich habe mit großem Widerstreben an der Erschießung teilgenommen. Ich habe mich nicht widersetzt, weil es ein Befehl war."

Judenmord als Daseinszweck

Eine Kompanie umfasst zwischen 60 und 250 Mann. Zu den Erschießungen wurde man kommandiert, oder man meldete sich freiwillig. Der 20-jährige Friedrich Peter hatte zum fraglichen Zeitpunkt den SS-Rang eines Unterscharführers (Unteroffizier). Er hatte die Funktion eines "Kompanietruppführers", der den Kompanieführer unterstützte.

Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass Peter, von "Mitte 1941 bis September 1942" unmittelbar am Schauplatz anwesend, von den ununterbrochenen, monatelangen Erschießungsaktionen im südlichen Pripjetsumpfgebiet nichts gewusst hatte. Alleiniger Zweck der Einheit waren ja Judenmorde, wie sie ein Zeuge schilderte: "Soweit ich mich erinnere, ließ ich das Exekutionskommando durchwechseln, sodass jeder schießen musste. Wenn eine Frau ein Kind auf dem Arm getragen hat, dann wurden zwei Schützen eingeteilt. Einer musste auf das Kind schießen."

Es war möglich, sich ohne gravierende Folgen vor den Erschießungen zu drücken. Allerdings tat das nur eine Minderheit. Es ist also möglich, dass Friedrich Peter sich nicht beteiligte. Dagegen spricht, dass er anschließend auf einen Offizierslehrgang kam.

Langsames Umdenken

Peter trat dann doch 1978 zurück, handelte aber 1983 mit Kreisky noch die rot-blaue Koalition aus. In der Öffentlichkeit, die zunächst eher verdrängend reagiert hatte, setzte ein langsames Umdenken ein (ganz spät sogar in der Krone).

Aber was bewog den Juden Bruno Kreisky, ein Mitglied einer SS-Mordbrigade derart in Schutz zu nehmen und derartige Verleumdungen gegen Wiesenthal auszusprechen? Tiefenpsychologisch mag es ihm Genugtuung bereitet haben, wenn ein "geläuterter" SSler wie Peter ihm gegenüber fast unterwürfig war. Ebenso wollte er von Wiesenthal nicht als Jude vereinnahmt werden. Kreiskys Hass gegen die "Dollfuß-Faschisten" war größer als gegen die Nazis, mit deren "anständigen" Vertretern er gemeinsam im Gefängnis gesessen war.

Aber es war wohl auch eine Mischung aus Einsicht in die politischen Realitäten und kaltem politischem Zynismus. Zum Geheimnis von Kreiskys absoluten Mehrheiten gehörte die "Versöhnung" mit den "Ehemaligen", die sogar in seine erste Regierungserklärung Eingang fand. Aus seinem Erlebnis der Dreißigerjahre wusste er auch, dass die Arbeiterklasse nicht immun war gegen rechts (wie sich auch heute erweist).

Es bleibt trotzdem ein sehr dunkler Fleck auf Kreiskys Leben. (Hans Rauscher, 5.10.2015)