Armin Holz, der heute in Berlin lebt, ist der geschworene Feind aller Halbherzigkeiten am Theater. Seine Karriere begann er als Lieblingsschüler Peter Zadeks am Hamburger Schauspielhaus.

Foto: Reinhard Winkler

Linz – Als Regisseur gilt Armin Holz als Mann der Extreme. Als er Oscar Wildes Bunbury in München aufführte, wählte er ein echtes Gewächshaus als Schauplatz. In den Linzer Kammerspielen zeigt er ab 10. Oktober eine merkwürdige, vierstündige Trilogie, zusammengesetzt aus einem Drama, einem Roman und einer Operette: Gespenster / Mrs. Dalloway / Viktoria und ihr Husar.

STANDARD: Wie kommt man von Ibsen hinüber zu Virginia Woolf – und von dort zur Operette?

Holz: Es werden in drei verschiedenen Genres familiäre Grundsituationen geschildert. Die Gespenster hat Ibsen selbst als Familiendrama bezeichnet. Das zweite Stück – welches in Wahrheit keines ist – ist Mrs. Dalloway. Dieser Stoff war noch auf keiner deutschsprachigen Bühne zu sehen. Es gab wohl in London und in New York szenische Versuche.

STANDARD: Was tut man mit dieser hochmodernen Prosa?

Holz: Ich habe aus diesem Kurzroman, dieser Torte, nur ein Stück herausgeschnitten. Mrs. Dalloway begegnet ihrem Geliebten Peter Walsh, der genau an dem Tag, an dem sie eine große Gesellschaft gibt, von Indien nach London zurückkehrt. Seine Heimkehr löst in ihr den Gedanken aus, was aus ihr hätte werden können, wenn sie ihn und nicht den langweiligen Unterhausabgeordneten Richard Dalloway geheiratet hätte. Auch dies eine Familienaufstellung.

STANDARD: Was ist die dramaturgische Funktion der "Dalloway"?

Holz: Sie bildet ein dreißigminütiges Bindeglied zwischen den beiden Stücken. Der dritte Teil ist eine Familiengeschichte aus der Welt der Operette. Paul Abrahams Stück von 1929 war der letzte Operettenwelterfolg, der komponiert worden ist. Eine Dada-Jazz-Operette! Die Uraufführung fand in Budapest statt. Abraham wollte einen Welterfolg lancieren. Er wusste, er muss mit der ganzen Chose nach Berlin übersiedeln.

STANDARD: Die Programmierung eines Welterfolgs?

Holz: Es gab Leipziger Voraufführungen, ähnlich wie bei heutigen Musicals. Danach übersiedelte das Stück in den Berliner Admiralspalast. Es wurde ein riesiger Hit mit Revue-Darstellern und Komikern aus dem berühmten Max-Reinhardt-Ensemble.

STANDARD: Die Story?

Holz: Eine Familiengeschichte aus der Welt der Yellow Press. Bei Herrn Abraham natürlich eine Vierteletage höher angesiedelt. Aber bei Mrs. Dalloway gibt es die Geschichte eines Kriegsversehrten. Er sitzt als Traumatisierter schreiend auf Londoner Parkbänken, während Dalloway parallel dazu einkaufen geht. Erst auf ihrer Gesellschaft wird ihr mitgeteilt, ein junger Mann habe sich umgebracht. Und sie fragt sich, ob ihre Gesellschaft durch den Selbstmord dieses Kriegsversehrten beschädigt worden sei.

STANDARD: Es geht um das Weiterreichen des Elends an die Kinder?

Holz: Abrahams Jazz-Operette spielt zwischen Sibirien, St. Petersburg, Tokio und einem kleinen ungarischen Städtchen im Ersten Weltkrieg. Was ja für eine Operette eine ungewöhnliche Verortung darstellt. Die Lieder jedoch entsprechen dem Zeitgeschmack von 1929. Wobei die Handlung mit ihren rasanten Szenenwechseln 1914/15 spielt.

STANDARD: Eine Zusatzidee?

Holz: Weil ich ja nicht so wahnsinnig oft inszeniere, wurde ich in Linz gefragt, ob ich nicht etwas Ungewöhnliches entwickeln wolle. In einer Zeit, in der selbst die allergrößten Theater mit irrsinnigem Mittelaufwand nur noch Yasmina-Reza-Komödien ansetzen, dachte ich, dass man an einem Ort wie Linz das größte und verwegenste Projekt machen müsste!

STANDARD: Sie wollen die Verhältnisse zum Tanzen bringen?

Holz: Ich habe zwei Schauspieler, die in allen drei Stücken auftreten. Wir besetzen halb aus dem Ensemble, halb sind es Gäste. Mit Anne Bennent wollte ich immer arbeiten. Ich selbst bin für Regie, Bühne und Kostüme verantwortlich. Als Komponistin habe ich Lisa Bassenge.

STANDARD: Ihnen eilte der Ruf eines Guerilleros voraus. Sie arbeiten in Opposition zum Stadttheaterbetrieb. Wollen Sie etwas weitergeben, was Sie im Betrieb vermissen? Gibt es einen Verlust an Geschichtsbewusstsein am Theater?

Holz: Das ist absolut so. Als ich in Bochum in der Ära Elmar Goerden erster Regisseur des Hauses war, im Grunde eine sehr begehrenswerte Position, da fiel mir auf, dass Jungschauspieler heute nicht mehr wissen, wer Rudolf Noelte war. Oder Klaus Michael Grüber. Die Schauspielschulabgänger glauben heute ganz einfach, dass mit ihnen das Theater beginnt.

STANDARD: Braucht es nicht auch eine gesunde Ignoranz, um überhaupt anfangen zu können?

Holz: Man muss sich abstoßen können, klar. Aber dazu braucht es auch Kenntnisse. Das Theater verliert seine Grammatik, es hat sich auch in seinen Organisationsformen extrem gewandelt. Die Durchmischung mit den freien Theatern, die heutzutage passiert, finde ich häufig sehr lächerlich. Im Endeffekt kann man an den hochsubventionierten Stadttheatern bei entsprechenden Eintrittspreisen die Ergebnisse von freien Gruppen bewundern. (Ronald Pohl, 2.10.2015)