Bernd Marin wird neuer Rektor der Webster University, einer Privatuniversität in Wien.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sie treten mit 67 Ihre neue Funktion als Rektor der Wiener Webster University an. Was reizt Sie daran?

Marin: Das Angebot freut und ehrt mich. Am Standort Wien gibt es kaum interessantere Aufgaben im Bildungs- und Wissensmanagement.

STANDARD: In einer Aussendung kündigen Sie Stiftungsprofessuren an. Was wollen Sie umsetzen?

Marin: Sogenannte Endowed Professorships und Name Chairs sind nur ein mögliches Instrument. Sie können von Institutionen oder Einzelpersönlichkeiten gestiftet werden, für Forschungsgebiete oder renommierte Gelehrte. Wichtig ist mir, erfolgreiche Auslandsösterreicher zurück nach Österreich zu holen, die Wissenschaftsszene zu beleben. Wir wollen eine internationale External Faculty aufbauen, wo Wissensbestände weltweit jederzeit abrufbar sind – seien es Computerwissenschaften oder französische Literatur.

STANDARD: Wie kann das funktionieren?

Marin: Indem man in einem globalen Netzwerk wie Webster neue Technologien nutzt und Mobilität fördert. Studierende können an jedem Campus auf beiden Seiten des Atlantiks ihr Studium fortsetzen, in den USA und der EU anerkannte Abschlüsse machen. Aber es wird auch eine Arbeitsteilung zwischen den Campus geben müssen.

STANDARD: Wer kann an der Webster University studieren?

Marin: Jede und jeder mit guten Maturanoten und einem überzeugenden Motivationsschreiben, die oder der den Aufnahme- und Toefl-Test besteht.

STANDARD: Und genügend Geld hat.

Marin: Wenn Sie auf Studiengebühren anspielen: Ich habe an vielen Universitäten unterrichtet. Meist mit Studiengebühren, manchmal ohne. Der Glaubenskrieg für oder gegen Studiengebühren ist von vorvorgestern. Worauf es allein ankommt, ist, dass Begabte nicht aus materiellen Gründen behindert werden. Wir wollen kein "rich kids", sondern ein "best talent's place" sein, dazu ist ein gutes Stipendiensystem nötig.

STANDARD: Das es hierzulande gibt?

Marin: Wir wollen es ausbauen, aber es gibt heute schon Scholarships von Webster und Stadt Wien oder einen Merit Award des Wissenschaftsministeriums für hervorragende Studierende, einschließlich der Flüchtlinge nach Genfer Konvention.

STANDARD: Aber selbst mit Stipendium sind die Hürden für viele sehr hoch.

Marin: Leider ja. Meine Präferenz wäre – aber dafür muss ich erst werben –, die Studiengebühren für einen gewissen Prozentsatz nicht nur zu reduzieren, sondern ganz abzuschaffen (Bachelor-Programme an der Webster University kosten rund 19.000 Euro jährlich, Master- beziehungsweise MBA-Programme je nach Fach zwischen 26.000 und 47.000 Euro, Anm.). Ob wir zehn oder zwölf Studenten in einem Seminar haben, macht keinen Unterschied, wir haben immer noch ein zehnmal besseres Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden als öffentliche Hochschulen. Und diese besonders begabten und motivierten Talente wären "Tiramisu", Hochzieher für alle.

STANDARD: Was ist noch geplant?

Marin: Jeder einzelne Studierende wird künftig für einen doppelten, in den USA und Österreich akkreditierten Studienabschluss eine Thesis vorlegen müssen. Das war bisher nicht verpflichtend. Aber Webster bietet Studierenden in bester amerikanischer Lehrtradition ausgezeichnete Unterstützung an – vor allem beim Schreiben selbst, was europäische Unis kaum vermitteln. Außerdem wollen wir die Forschung ausbauen, mit europäischen Unis kooperieren. Die erste Zusammenarbeit erfolgt mit dem Wirtschaftspolitischen Zentrum Wien der Universität St. Gallen vom Kollegen Keuschnigg: ein Projekt der Bertelsmann-Stiftung zum "Social Inclusion Monitor". Angedacht sind auch neue Studiengänge.

STANDARD: Die da wären?

Marin: Wir wollen auf aktuelle Probleme der Praxis reagieren, etwa mit einem Studiengang Cybersecurity oder einem Kombinationsstudium aus Psychologie und Management zur Steuereinhebung. Das ist wichtig für Länder wie Griechenland oder die EU-Kandidatenländer. Private Unis können auf gesellschaftlichen Bedarf rasch reagieren. Etwa eine Université du troisième âge andenken: Studienprogramme für Älterere, lebensbegleitende Bildung, zweite Chance für Spracherwerb, späte Diplome, unerfüllte Jugendträume. Momentan liegt viel Potenzial brach. Oldies können bei uns nur wenig erreichen.

STANDARD: Woran liegt das?

Marin: An einem veralteten Bild des Lebenszyklus, das einfach nicht mehr passt.

STANDARD: Wie sehen Lebensläufe denn im Vergleich zu früher aus?

Marin: 40 ist das neue 30. Wir nennen das "Altersinflation" – und Mittelschichtsfrauen sind heute schon über 30 Jahre im Ruhestand. Chronologisches und prospektives Alter klaffen immer weiter auseinander. Die Langlebigkeit steigt weiter, körperliche und geistige Fähigkeiten bleiben bis ins hohe Alter erhalten. Doch die Gesellschaft hat sich auf diese neue Welt noch überhaupt nicht eingestellt.

STANDARD: Sie haben in einem Interview gesagt, dass Inaktivität unglücklich macht ...

Marin: Inaktivität macht nicht nur unglücklich, sie lässt objektiv verkümmern. Wenn ein junger, athletischer Mann als Astronaut sechs Wochen im Weltall herumfliegt, kann er danach wegen Muskelschwunds nicht einmal bis zur nächsten Toilette torkeln. So ist es auch mit dem Gehirn: Wer das letzte Zweitbuch mit Ende 20 liest, kann mit 45 gaga sein. Auch bei geistigen Fähigkeiten gilt: Use it or lose it – wer rastet, der rostet.

STANDARD: Wie kann die Gesellschaft, wie können Unternehmen und Organisationen dabei unterstützen?

Marin: Sie sollen Älteren eine Chance geben zu arbeiten. Ich möchte Sie jetzt nicht schrecken, aber: In meiner Familie und Freundesumgebung ist niemand je in Pension gegangen. Mein Vater hat bis zwei Monate vor seinem Tod mit 93 gearbeitet.

STANDARD: Und das ist auch Ihr Plan?

Marin: Ich beziehe keinerlei Pension und werde immer arbeiten. Ob an der Webster University oder anderswo. So bin ich halt. (Lisa Breit, 5.10.2015)