Je suis en route, vor einigen Tagen in der Stadt, in der er geboren wird, nun entlang der Seine, in der er seinem Leben ein Ende setzt. Im Juli 1948 übersiedelt der in Czernowitz geborene Dichter von Wien nach Paris, Schreckensjahre liegen hinter ihm: der nationalsozialistische Terror, dem auch seine Eltern zum Opfer fielen, verschiedene Arbeitslager, nach Kriegsende der Umzug nach Bukarest, schließlich die Flucht über Ungarn nach Wien.

In Paris ändert er seinen Namen Antschel in Ancel und schließlich in Celan. Er schlägt sich als Gelegenheitsarbeiter durch, verdingt sich als Dolmetscher, absolviert ein Studium der Sprach- und Literaturwissenschaft. 1952 veröffentlicht er Mohn und Gedächtnis, einen schmalen Gedichtband, in ihm wohl Celans bekanntester Vers: "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland". Kein anderes seiner Gedichte wird so oft interpretiert wie die Todesfuge, worunter sein Gesamtwerk leidet, das in fünf Bänden vorliegt. Allein zwei Bände sind seiner übersetzerischen Arbeit gewidmet. Wie zuvor Rilke sieht auch Celan sich als Vermittler, fünfzehn französische Schriftsteller übersetzt er, einer von ihnen: Robert Desnos.

Desnos verbringt seine Kindheit im Bauch von Paris, so nannte Émile Zola das Hallenviertel im ersten Arrondissement. Mit sechzehn entflieht er der familiären Enge, schließt sich Anarchistenkreisen an. Literarische Anregungen findet er bei Mallarmé, Rimbaud und Lautréamont, später vor allem bei Gérard de Nerval. Das Unterbewusstsein wird zur poetischen Quelle, in den Gedichten der frühen 1920er-Jahre ist Desnos ganz Surrealist – als solcher jedoch nicht blind. Gegen die heraufziehende faschistische Gefahr polemisiert er, zwar tritt er keiner Partei bei, aber sein Denken ist ein politisches. Das reale Leben zieht nun in seine Poesie ein, der Jargon der Straße, für den er in François Villons Gedichten ein Vorbild sieht.

Seine Einkünfte sichern mitunter journalistische Arbeiten. Nüchtern konstatiert er: "Wird eine Zeitung etwa mit Druckerschwärze gemacht?" Schreibe man sie nicht mit Erdöl, wenn nicht mit Blut? Das literarische Vokabular verweist immer stärker auf seine Kindheit zwischen Marktfahrern und Händlern im Quartier des Halles. Im Band Fortunes (Glücksfälle) versammelt er Gedichte aus den 1930er-Jahren und merkt dazu an, er sei auf der Suche nach einer poetischen Sprache, die zugleich volkstümlich und genau sei.

In der Okkupationszeit geht er in den Widerstand, veröffentlicht unter Pseudonym die Gedichtsammlung État de veille (Wachzustand), deren Nachwort mit dem Satz schließt: "Letztlich ist es nicht die Poesie, die frei sein muss, sondern der Dichter." Als ein Kurier der Résistance seinen Namen preisgibt, wird Desnos im Februar 1944 von der Gestapo verhaftet.

Verhöre folgen, die Verfrachtung ins Lager Royallieu im Norden von Paris. Im April 1944 die Deportation nach Auschwitz, von dort nach Buchenwald und über Flossenbürg weiter ins Lager Flöha in Sachsen, wo er für die Messerschmitt-Werke arbeiten muss. Sein Lebenswille trotzt allen Torturen, Desnos schmiedet Pläne, er richtet Mithäftlinge auf, indem er ihnen aus den Handlinien liest und ihr Schicksal spontan wie poetisch ausschmückt, was für Aufheiterung sorgt. Als die Rote Armee näherrückt, wird das Lager evakuiert. Unter den vom Gewaltmarsch völlig erschöpften Häftlingen, die im Mai 1945 das KZ Theresienstadt erreichen, auch Robert Desnos. Er hat sich mit Typhus infiziert.

"Von allen Dichtern, die ich kannte, war Desnos der unmittelbarste, der freieste, ein Poet immer voller Inspiration, der sprechen konnte, wie wenige Dichter zu schreiben vermögen. Er war der tapferste aller Menschen", bezeugt Paul Éluard nach dem Krieg. Robert Desnos stirbt am 8. Juni 1945, nur wenige Wochen nach der Befreiung des Lagers, in Theresienstadt.

Paul Celan kommt mir in den Sinn, von überall her führte ein Weg ins Lager, ich betrete die Rue Mazarin, in der Desnos wohnte, bis ihn die Gestapo verschleppte. Unweit von hier bezog Celan 1948 nach seiner Ankunft in Paris ein kleines Hotelzimmer. Je suis en route. (Christoph W. Bauer, Album, 2.10.2015)