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Die Forscher orten eine Kluft zwischen "Rede und den tatsächlich getroffenen politischen Entscheidungen" der Integrationspolitik unter Sebastian Kurz.

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Berichterstattung und Presseaussendung über Integrationspolitik nach dem Antritt von Kurz im Vergleich zu den Tagesordnungspunkten im Parlament.

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Wien – Viel Kommunikation, wenige gesetzliche Effekte und starke ideologische Prägung: So könnte man die politische Arbeit des Staatssekretariats für Integration (SSI) unter der Führung von Sebastian Kurz (ÖVP) – mittlerweile Außenminister – zusammenfassen. Dieser Schluss lässt sich aus einer Studie der Forschungsgruppe Inex/Institut für Politikwissenschaft unter der Leitung von Sieglinde Rosenberger ziehen.

Diese hat sich mit der Frage beschäftigt, ob die Einrichtung des SSI einen Wandel in der Regierungspolitik bewirkte. Untersucht wurden unter anderem Medienberichte, Presseaussendungen, Integrationsberichte, Stellungnahmen von Regierungsmitgliedern und Integrationssprechern im Nationalrat sowie sämtliche Nationalratsbeschlüsse der 24. Legislaturperiode. Verglichen wurde der Zeitraum vor Einrichtung des SSI (Oktober 2008 bis April 2011, "Phase 1") mit jenem danach (April 2011 bis Oktober 2013, "Phase 2").

Kurz konzentrierte sich auf Kommunikation

Während die Presseaussendungen des damals noch dem Innenministerium unterstellten Integrationsstaatssekretariats in Phase 2 beachtlich anstiegen, erhöhte sich in Plenardebatten des Nationalrats die Zahl der Tagesordnungspunkte zu Integration nicht. "Vielmehr konzentrierten sich die Aktivitäten auf Projektförderung, öffentliche Auftritte und mediale Kommunikation", sagt Studienautor Oliver Gruber dem STANDARD.

Der Politologe ortet daher eine starke Kluft zwischen "Rede und den tatsächlich getroffenen politischen Entscheidungen". Bei der Gesetzgebung baute das SSI auf den Grundlagen aus Phase 1 auf, ohne einen Richtungswechsel einzuleiten. Kontinuität prägte die Gesetze, etwa in Bezug auf Bildungsintegration, Familienzusammenführung und Antidiskriminierung.

Die Möglichkeit einer beschleunigten Einbürgerung nach sechs Jahren für "ausgezeichnet Integrierte" ändere nichts am grundsätzlich restriktiven Zugang zur Staatsbürgerschaft, sagt Gruber. Die neuen Gesetze seien oft lediglich eine Vertiefung und Ausdifferenzierung bestehender Integrationskriterien.

SPÖ gab Zepter aus der Hand

Das SSI übernahm weitgehend die Funktion als Regierungsstimme beim Thema Integration. "Die medialen Vermittlungsbemühungen" in Form von Presseaussendungen der ebenfalls damit befassten Unterrichts- und Sozialministerien seien auf "niedrigem Niveau" geblieben, während diese nach wie vor für die Gesetzgebung verantwortlich waren. "Die SPÖ hat das Integrationsthema nahezu gänzlich Kurz überlassen, obwohl die Zuständigkeit etwa in den Bereichen Bildung und Arbeitsmarkt bei ihr lag", sagt Rosenberger.

In seiner Funktion als "Regierungsstimme" nahm Kurz keineswegs eine politisch oder gar ideologisch neutrale Position ein. Sein Slogan "Integration durch Leistung" verknüpfte die wirtschaftspolitische Positionierung der ÖVP ("Leistung muss sich wieder lohnen") mit der Integrationspolitik, zeigen die Forscher. Damit sei eine Öffnung der Debatte signalisiert worden, allerdings nur innerhalb des ideologischen Rahmens der ÖVP, heißt es in dem Bericht. Rosenberger spricht von einer "ideologischen Überformung des Integrationsfelds durch die ÖVP".

Depolitisierung durch Experten

Eine große Rolle kam Experten zu. Ein Expertenbeirat für Integration wurde bereits im Jahr 2010 eingerichtet. Dadurch konnte Fachwissen im Staatssekretariat aufgebaut werden, was eine "Versachlichung" bewirken sollte. "Zugleich führt das Gewicht der Experten zu einer Depolitisierung des Integrationsthemas, andere inhaltliche Positionen des Regierungspartners, der Opposition und von NGOs wurden dadurch delegitimiert", sagt Rosenberger.

Integration ohne Mehrheitsgesellschaft

Spannend ist der Befund der Forscher auch, was die Adressaten der geforderten und gesetzten Maßnahmen betrifft. Vorwiegend waren Migranten als Träger von Rechten und Pflichten für ihre Integration eigenverantwortlich.

Verstärkt wurde auch die Politik als zuständige Instanz gefordert, die Integration ermöglichen sollte. Begrenzt in die Verantwortung genommen wurden "soziale Gatekeeper" wie Lehrer und Arbeitgeber. "Der Mehrheitsgesellschaft kam lediglich die Rolle zu, individuelle Leistungen von Migranten anzuerkennen, ohne selbst integrierend zu agieren", sagt Gruber. Dass Integration in Wahrheit einen Wandel der gesamten Gesellschaft verlange, stand nicht auf der Tagesordnung, sagt Rosenberger.

Kurz' Sprecher kritisiert Studie

Gerald Fleischmann, Pressesprecher des Außenministers, hält zur Studie fest: "Wir erachten die Methode als bedenklich, nur das zu untersuchen, wo auch explizit 'Integration' draufsteht." Kurz habe eine Reihe von Maßnahmen initiiert, die mit dem Thema Integration verwandt seien, so zum Beispiel die Reform der Rot-Weiß-Rot-Card, die Wiedereinführung und Erhöhung der Sprachförderung, der AMS-Migrantenindex, die Staatsbürgerschaftsreform sowie die Verschärfung von Sanktionen bei Schulpflichtverletzungen. Darüber hinaus wurden in der untersuchten vergangenen Legislaturperiode Gesetzesinitiativen in die Wege geleitet, die erst in der jetzigen Legislaturperiode im Nationalrat beschlossen wurden, etwa das Islamgesetz, das Anerkennungsgesetz und die Verschärfung des Strafbestands bei Zwangsheiraten, sagt Fleischmann. (Katrin Burgstaller, 2.10.2015)