Es gibt Berglandschaften, die springen uns sofort ins Auge – die jähen Nordwände der Drei Zinnen etwa, die himmelhohe Watzmann-Ostwand, die eisigen Achttausender Nepals. Bei ihrem Anblick fällt uns augenblicklich das Kinnladl runter.

Foto: Uwe Grinzinger

Aber es gibt auch Berge, die drängen sich nicht auf. Sie sind beschaulich, dezent, für den gefälligen Hausgebrauch durchschnittlicher Wanderer gedacht. Die Deferegger Alpen etwa stehen mitten in Osttirol und werden dennoch oft übersehen. Kein Wunder, denn alles Prätentiöse und jeder Superlativ fehlt in dieser Berggruppe. Sie hat keine berühmten Gipfelnamen anzubieten, keine Gletscher, keine Dreitausender. Dass sie dennoch keine uninteressanten Allerweltsberge sind, beweist die Wanderung zum Geigensee, hoch über Hopfgarten im Defereggen.

Schön ohne Schnörkel

Wir starten bei der gemütlichen, privat geführten Bloshütte (1.795 m), die wir ganz bequem per Taxizubringer durchs Zwenewaldtal erreichen. Schon hier lässt ein Rundblick erahnen: Die "Deferegger" bieten ideales Almwandergelände in grundsolider Tauernlandschaft – still, ohne Schnörkel, einfach schön.

Ausgangspunkt mit Glocknerblick: die Bloshütte.
Foto: Uwe Grinzinger

Von der Bloshütte wandern wir auf der Zufahrtsstraße ein kleines Stück retour, bis kurz darauf der markierte "Fenstersteig" abzweigt. Auf diesem queren wir durch Wald zum Glauritbach und wechseln später auf die andere Bachseite. Eine Steilstufe, über die der sehenswerte Glauritwasserfall stürzt, wird links umgangen – oben stehen zwei Wegvarianten zur Auswahl.

Danach geht es sanfter in ein idyllisches Hochtal hinein. Der nächsten Felsstufe weichen wir nach rechts in Richtung Westen aus. Bei einer Wegkreuzung halten wir uns links – rechts zweigt der Wanderweg zum Pumpersee ab – und erreichen kurz darauf den Geigensee (2.409 m).

Fern-sehen: Über den Geigensee schweift der Blick zum Venediger (links hinten) und zum Glockner (rechts hinten).
Foto: Uwe Grinzinger

Ein paar Meter oberhalb des Sees steht malerisch das Glaurithütterl, auch bekannt als Geigenseehütte. Vor dort hat man einen perfekten Postkartenblick zur Glocknergruppe und zum Großvenediger. Die heimelige Selbstversorgerhütte ist tipptopp eingerichtet, bietet Schlafplätze für sechs bis acht Personen und ist der Inbegriff des alpinen Vertrauensvorschusses: Der Schlüssel hängt über der Eingangstür, jeder kann kommen und gehen – in der Hoffnung, er möge die Unterkunft so verlassen, wie er sie vorgefunden hat.

Der Herbst, ganz leise

Draußen vor der Tür schlägt die Natur wunderbar leise Töne an: Sanft schwappen Wellen des Geigensees ans Ufer, eine Brise streicht kaum hörbar über die Wiesenhänge. Die letzten Insekten dieses Herbstes brummen, irgendwo pfeift ein Murmeltier. Ansonsten Ruhe. Hier lässt sich pro blemlos ein ganzer Tag verbringen.

Schleierhaft: der Glaurit-Wasserfall.
Foto: Uwe Grinzinger

Bevor wir am Aufstiegsweg wieder absteigen, sollten wir zumindest noch den See umrunden und dabei ein paar Meter nach oben steigen. Dann erklärt sich nämlich dessen Name: Die Form des Sees erinnert tatsächlich an den Korpus einer Geige. (Uwe Grinzinger, 2.10.2015)