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Flüchtlinge kommen in Skala Sikaminias, Lesbos, an. Sie sollen künftig direkt an der Grenze registriert werden.

Foto: EPA/FILIP SINGER

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Grafik: APA

Wien – Österreich will sich am Aufbau sogenannter Hotspots an der EU-Außengrenze beteiligen. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hat einmal mehr in einem Telefonat "100 österreichische Experten für den Aufbau, die Optimierung und die Betreuung von EU-Aufnahmezentren, so genannte Hotspots, in Griechenland und Italien zugesagt", hieß es am Freitag aus dem Bundeskanzleramt. Freitagfrüh habe diesbezüglich eine weitere Telefonkonferenz des Kanzlers- diesmal mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk – stattgefunden. Das österreichische Angebot sei akkordiert mit dem Vizekanzler, dem Innen- und dem Verteidigungsministerium erfolgt, hieß es weiter.

"In Kürze" würden Koordinatoren aus Österreich nach Griechenland reisen, "um sich ein Bild vor Ort zu machen, dann werden die richtigen 100 Leute für diesen Aufbau ausgesucht", teilte Bundeskanzler Faymann nach dem Gespräch mit. Das Bundeskanzleramt hat bereits einen Koordinator nominiert: Stefan Pehringer, derzeit in Faymanns Kabinett tätig, werde diese Aufgabe übernehmen. Auch das Innenministerium werde einen Koordinator nominieren. Die Experten sollen dann vor allem aus dem Bereich des Innen- und Verteidigungsministeriums kommen.

Timmermans: Ende November machbar

Der stellvertretende EU-Kommissionschef Frans Timmermans sagte dem Radiosender Ö1 am Freitag, er halte die Einrichtung von Hotspots zur Registrierung von Flüchtlingen in Griechenland und Italien bis Ende November für machbar: "Ja, ich glaube schon. Leicht wird es nicht, wir müssen es aber tun."

Insgesamt sollen demnach elf solcher Registrierungsstellen an den EU-Außengrenzen entstehen: sechs in Italien, die meisten auf Sizilien, und fünf in Griechenland, etwa auf den Inseln Samos, Lesbos und Kos. Das sei notwendig, meint Timmermanns. "Denn wenn das so weitergeht wie jetzt, können wir nicht bestimmen, wer Recht hat auf Asyl und wer kein Recht hat auf Asyl."

Allein die Überfahrt nach Lesbos gelang in diesem Jahr laut Zahlen des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) rund 208.000 Menschen. Die vor dem türkischen Festland gelegene griechische Insel sei damit die Hauptroute der Bootsflüchtlinge. Über die Insel Kos flohen knapp 40.000 Menschen.

In dieser Woche sind nach UN-Angaben weniger Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Griechenland gekommen als zuvor – Grund sei das schlechte Wetter. Am Donnerstag seien 1.500 gezählt worden, teilte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) am Freitag in Genf mit. Eine Woche zuvor waren es demnach am selben Wochentag 6600. Derzeit mache das windige, kalte Wetter die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland noch gefährlicher, sagte UNHCR-Sprecher Adrian Edwards.

Allerdings werde besseres Wetter die Flüchtlingszahlen voraussichtlich wieder in die Höhe treiben. "Es handelt sich eindeutig weiterhin um eine Notsituation sehr großen Ausmaßes." Das zeigt auch die Arbeit der griechischen Küstenwache, die in den vergangenen 24 Stunden 259 Flüchtlinge vor Lesbos, Samos und Kos aus den Fluten gerettet hat.

Merkel warnt vor Illusionen

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel warnte am Donnerstag vor Illusionen, dass sich die Flüchtlingskrise allein durch Maßnahmen in Deutschland lösen lasse. Angesichts einer Zahl von 60 Millionen Flüchtlingen weltweit lasse sich das Problem nur mit einem dreifachen Ansatz lösen: global, europäisch und national.

Man müsse verstehen, dass Flüchtlinge nicht leichtfertig ihre Heimat verlassen. Zugleich müsse man die EU-Außengrenzen besser sichern und national die Probleme angehen. "Wenn wir das verstehen, dann können wir auch richtig handeln." Merkel wies damit indirekt den Vorwurf von CSU-Chef Horst Seehofer zurück, sie sei für den starken Zustrom von Flüchtlingen mitverantwortlich.

Die CDU-Chefin mahnte zugleich, dass Menschen, die aus wirtschaftlichen Motiven Asyl suchen, nicht in Deutschland bleiben könnten. Nur so könne man Schutzbedürftigen helfen. Außerdem pochte sie auf Toleranz der Neuankömmlinge. "Dazu erwarten wir, dass sie sich an hier geltendes Recht und Gesetze halten." Merkel warnte zudem, dass eine schnelle Lösung der Flüchtlingskrise nicht zu erwarten sei. "Das braucht Zeit und einen langen Atem. Es geht nicht mit der einen Lösung über Nacht."

SPD-Fraktionsvize: "Wir sind am Limit"

Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble forderte indessen eine gesamteuropäisches Asylrecht. "Das wird in der Tat schwierig. Trotzdem, ein europäisches Asylrecht muss eher eine Frage von Monaten denn von Jahren sein", sagte er der Tageszeitung "Welt". Für ein europäisches Asylrecht seien keine Vertragsänderungen in Europa nötig, so Schäuble. "Dafür gibt es im Lissabon-Vertrag bereits die Grundlage. Nur, man muss es nun auch endlich machen."

Ein permanenter Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge in der EU ist allerdings noch in weiter Ferne. Ein solcher Notfallmechanismus werde zwar beim EU-Innenministerrat Donnerstag nächster Woche in Luxemburg beraten, Beschlussfassungen werde es aber keine geben, da das Dossier politische Sprengkraft in sich trage, hieß es am Freitag in EU-Ratskreisen in Brüssel.

Zunächst müssten die Arbeitsgruppen der Staaten die Vorberatungen übernehmen. Jedenfalls sollte aus den bisher beschlossenen zwei Verteilungsquoten – zunächst von 40.000 und dann von 120.000 Flüchtlingen – noch vor dem EU-Gipfel Mitte Oktober die ersten Aufteilungen auf die Staaten erfolgen.

SPD-Chef: "Nähern uns Grenzen unserer Möglichkeiten"

In Deutschland kommen mittlerweile neben der CSU auch aus der SPD kritische Töne. "Wir sind am Limit", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Axel Schäfer der "Süddeutschen Zeitung". "Die EU-Außengrenzen müssen möglichst dichtgemacht, das heißt, gesichert und kontrolliert werden." Dafür müssten alle europäischen Staaten zusammenarbeiten. "Eine ungesteuerte Zuwanderung wird sonst für Flüchtlinge, Behörden und die Bevölkerung nicht mehr tragbar."

Auch Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht Deutschland in der Flüchtlingskrise am Rand seiner Kapazitäten. "Wir nähern uns in Deutschland mit rasanter Geschwindigkeit den Grenzen unserer Möglichkeiten", sagte Gabriel zu "Spiegel Online". "Wir schaffen in diesem Jahr die Aufnahme der enormen Zahl der Flüchtlinge nur mit großer Mühe." Viele Orte seien bereits überfordert. "Natürlich kennt das Asylrecht keine Obergrenze, aber bei der Belastbarkeit der Städte und Gemeinden gibt es faktische Grenzen."

Auch die Frage des Familiennachzugs wird in Deutschland nun intensiver diskutiert. "Ich sehe hier ganz klar Änderungsbedarf", sagte der innenpolitische Sprecher der CSU-Fraktion, Stephan Mayer, am Freitag in Berlin. Wie in Österreich können auch in Deutschland anerkannte Flüchtlinge ihre Kernfamilie nachholen.

Hinweise auf Terroristen im Flüchtlingsstrom dementiert

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben nach den Worten von Innenminister Thomas de Maiziere bislang keine Hinweise, dass sich unter den Hunderttausenden Flüchtlingen "Terroristen" mit Kampfauftrag befinden. Es gebe immer wieder Hinweise von Geheimdiensten, dass sich Extremisten etwa des Islamischen Staates (IS) oder anderer islamistischer Organisationen unter den Migranten befänden, sagte de Maiziere am Freitag nach einem Besuch beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden.

Jedem Hinweis werde intensiv nachgegangen. Die Sorge, dass unter den Menschen welche seien, die Anschläge in Deutschland planten, habe sich aber bislang nicht bewahrheitet. "Aber möglich ist eine solche Gefahr natürlich immer", sagte der CDU-Politiker.

Gleichzeitig verschärfte de Maiziere die Tonlage gegenüber Flüchtlingen in seinem Land. Auch bei den Sozialdemokraten mehren sich Stimmen, wonach Deutschland eine Überlastung droht. Die Linke warnte vor Stimmungsmache.

Viele Flüchtlinge meinten, sie könnten sich selbst irgendwohin zuweisen, sagte de Maiziere. "Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen." Dies sei zwar noch eine Minderheit. Aber wer nach Deutschland komme, müsse sich hier an die Regeln und die Rechtsordnung halten. Auf die Frage, ob Deutschland an der Grenze des Machbaren angelangt sei, antwortete er: "Wir schaffen das nicht ohne weiteres – das ist schon eine große Anstrengung." (APA, red, spri, 2.10.2015)