Wien – Es ist Donnerstag, 8.30 Uhr. Die Drehtür beim AMS in der Schönbrunner Straße in Wien-Meidling kommt fast nicht zur Ruhe. Vor dem Eingang stehen jene, die ihren heutigen Besuch beim AMS-Betreuer schon hinter sich haben und vor der Heimfahrt noch eine Zigarette rauchen. István* ist einer von ihnen. Er ist Mitte 50, geht etwas gebückt. Man sieht seinem Körper an, dass er nicht seit Jahrzehnten in einem gemütlichen Büro arbeitet.

István ist gelernter Installateur. Momentan sei es sehr schwierig, eine Arbeit zu finden, erzählt er in gebrochenem Deutsch. Bei drei Firmen war er in dieser Woche schon vorsprechen, wie er es nennt. Geworden ist nichts daraus. Worauf er das zurückführt? "Es gibt einfach mehr Leute, die Arbeit suchen", zeigt er auf die nächste kleine Gruppe, die gerade die AMS-Stelle verlässt.

"Alles schwarz"

Und es gibt offenbar viele, die auch weit unter den in Österreich geltenden kollektivvertraglichen Mindeststandards arbeiten. Für einfache Hilfstätigkeiten sieht der KV im ersten Jahr ein Mindestgrundgehalt von 1310 Euro vor. Das reicht schon kaum zum Überleben. István erzählt aber, dass viele Installateurbetriebe nur vier oder fünf Euro pro Stunde zahlen würden.

Und er fügt hinzu: Für die Arbeitgeber sei es nicht schwierig, zu diesen Konditionen auch Mitarbeiter zu finden – vor allem unter Rumänen und Bulgaren. Bei einer 40-Stunden-Woche ergibt das 640 bis 800 Euro. Die Frage nach brutto oder netto stellt sich in diesem Fall natürlich nicht mehr. "Alles schwarz", sagt István mit einem leicht resignierenden Lächeln.

Konkurrenzkampf noch größer

Seine Probleme sind nicht untypisch für den Wiener Arbeitsmarkt. Seit der Öffnung für Arbeitskräfte aus den osteuropäischen EU-Staaten ist der Konkurrenzkampf noch größer geworden. Ökonomen sprechen von Verdrängungseffekten. Ein Blick in die Statistiken zeigt, wie angespannt die Lage derzeit ist.

Die Arbeitslosenquote liegt weit über dem Bundesschnitt. Ende September waren fast 150.000 Menschen (inklusive Schulungsteilnehmern) in der Bundeshauptstadt arbeitslos. Etwas mehr als 37 Prozent aller Jobsuchenden in Österreich wohnen in Wien. Zum Vergleich: Nur etwas mehr als 20 Prozent der gesamten Wohnbevölkerung leben in Wien.

Verdrängungswettbewerb

Der Anteil von Zuwanderern unter den Arbeitslosen ist in den vergangenen Jahren deutlich größer geworden. Von den insgesamt 121.769 vorgemerkten Arbeitslosen (ohne Schulungsteilnehmer) waren im August des heurigen Jahres 43.318 Ausländer, was einem Anteil von 35,6 Prozent entspricht. Vier Jahre davor lag der Zuwandereranteil noch bei 26,3 Prozent, zeigen Daten des Wiener AMS.

Der Verdrängungswettbewerb muss aber gar nicht zwingend mit Schwarzarbeit oder der Unterschreitung von Kollektivverträgen zusammenhängen. Der Chef des Bundes-AMS, Johannes Kopf, illustrierte die Entwicklung zuletzt im "Profil" folgendermaßen: "Anders als früher verdrängt nicht der vielzitierte anatolische Hilfsarbeiter den teureren Wiener Hilfsarbeiter, sondern zum Beispiel der junge Ungar den schlechter qualifizierten Bosnier."

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In der Baubranche ist der Zuwandereranteil traditionell hoch.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Als Konsumenten weniger präsent

Ungarische Mitarbeiter sind mittlerweile vor allem in der Gastronomie und Baubranche stark vertreten. Bei ihnen kommt noch eine Besonderheit zum Tragen. Rund ein Drittel der Ungarn pendelt. "Sie sind also als Konsumenten nicht oder wenig präsent", sagt der Arbeitsmarktexperte des Wifo, Helmut Mahringer, im Gespräch mit dem STANDARD. Dadurch kommt es also zu einem gewissen Kaufkraftabfluss. Laut Mahringer spielt die Qualifizierungsfrage in Wien eine besonders große Rolle. Die Bildungsstruktur unterscheide sich nämlich erheblich vom Rest Österreichs.

Es gibt mehr Hochqualifizierte, aber auch mehr Menschen ohne formellen Abschluss. Der Bereich der mittleren Qualifikation ist folglich schwächer ausgeprägt. In Zahlen sieht das wie folgt aus: Vor 30 Jahren hatten noch 58,4 Prozent der erwerbsfähigen Wiener einen mittleren Bildungsabschluss, im Jahr 2011 waren es nur mehr 53,8 Prozent. Österreichweit ist der Anteil im gleichen Zeitraum von 49,5 auf 65,4 Prozent gestiegen.

Was mit dieser Entwicklung einhergeht: Es gab über die Jahre und Jahrzehnte einen starken Strukturwandel in Wien. Die Industrie hat sich immer mehr in die Stadtperipherie verlagert, wodurch aber natürlich in diesem Bereich Jobs weggefallen sind. "Es gab einen Umbruch in Richtung einer modernen dienstleistungsorientierten Stadtwirtschaft", sagt Mahringer dazu.

Da Wien die einzige Großstadt in Österreich ist, sei es auch nicht verwunderlich, dass sich Zuwanderer und Asylwerber hier stärker konzentrieren. Der Wifo-Ökonom: "Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist zwar hoch. Die Eintrittschancen in den Arbeitsmarkt sind aber im Vergleich zu ländlichen Gegenden mit wenig offenen Stellen auch besser."

Ohne Abschluss

Der Anfang 20-jährige Thomas*, der sich ebenfalls unter die Raucher vor dem AMS in der Schönbrunner Straße gesellt hat, kann letzteren Satz wohl nicht unterschreiben. Er gehört zu den Niedrigqualifizierten, die sich nun besonders schwer bei der Jobsuche tun. Die Hauptschule hat Thomas in der vierten Klasse negativ abgeschlossen – weil er an Epilepsie erkrankte. Auch einen Lehrabschluss kann er nicht vorweisen.

Vor ein paar Jahre war das aber auch noch nicht so tragisch, wie der junge Mann erzählt. Eine Zeitlang war er bei seinem Cousin in Oberösterreich beschäftigt, der Wohnungen umbaut. "Da habe ich auch gut verdient." Danach hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Wenn ein Job vorbei war, hat es in aller Regel nicht lange gedauert, bis ein neuer gefunden war. "Man ging zum AMS, und nach einem oder zwei Monaten bekam man einen neuen Job." Jetzt gehört der Hobbyrapper zu den Langzeitarbeitslosen, ist Notstandshilfebezieher und sagt: "Ich würde alles annehmen, ich werde aber nur von einem Kurs zum nächsten geschickt." (Günther Oswald, 4.10.2015)

* Namen geändert