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In Europa ist der Verbriefungsmarkt nach der Immobilien- und Finanzmarktkrise eingebrochen.

Foto: APA/Patrick Pleul

Auf den ersten Blick klingt das Vorhaben der EU-Kommission einfach nur brandgefährlich: Die Brüsseler Behörde hat am Mittwoch einen Aktionsplan präsentiert, um eine Kapitalmarktunion in Europa zu schaffen. Ziel der Initiative ist es, die Finanzmärkte in Europa stärker zu harmonisieren. Viele der Reformvorhaben sind reine Absichtserklärungen.

Doch ein bereits fertig ausgearbeiteter Gesetzesvorschlag dürfte für heftige Diskussionen sorgen. Denn die EU-Kommission möchte ausgerechnet jenen Markt wiederbeleben, an dem die Finanzkrise 2008 ihren Ausgang nahm.

Auslöser der Finanzkrise waren ja Probleme am US-Immobilienmarkt gewesen. Banken und Finanzdienstleister hatten in den Vereinigten Staaten im großen Stil damit begonnen, Kredite an Häuslbauer in komplexe Finanzprodukte zu verwandeln. Vergebene Darlehen wurden dabei gebündelt und an Investoren weiterverkauft.

Umsatz steigt rasant an

Der Umsatz mit solchen verbrieften Krediten stieg nach der Jahrtausendwende rasant an. Dabei waren die Finanzpakete oft so verschachtelt, dass es für Investoren undurchsichtig war, wie riskant ihre Verbriefungen waren. Aber lange Zeit warf das Modell für alle gutes Geld ab.

Dann stieg die Zahl der Hauseigentümer, die ihre Kreditraten nicht zahlen konnten. In der Folge griffen die Probleme auf die Finanzmärkte über, wo Panik auf allen Ebenen ausbrach. Der Rest ist Krisengeschichte.

In Europa ist der Verbriefungsmarkt wegen dieser Erfahrungen eingebrochen. Der für Finanzmärkte zuständige EU-Kommissar Jonathan Hill will das nun ändern.

Konkret schlägt er vor, eine neue, besonders sichere und transparente Kategorie von verbrieften Finanzprodukten zu schaffen. Sichere Verbriefungen sollen etwa nur solche sein, die auf gleichartigen Darlehen aufbauen. Banken dürfen also nicht Konsumenten- und Immobiliendarlehen gemeinsam verbriefen und verkaufen. Auch Informationen über die Qualität der den Verbriefungen zugrunde liegenden Kredite müssen ständig verfügbar sein. Und wenn ein Finanzdienstleister Darlehen verkauft, muss er mindestens fünf Prozent weiterhin auf eigene Rechnung halten.

Laxere Vorschriften

Im Gegenzug will es die EU Banken und Versicherungen erleichtern, Wertpapiere zu erwerben: Finanzinstitute müssen für ihre Investments in der Regel Eigenkapital halten. Die Eigenkapitalanforderungen für die beschriebenen sicheren Verbriefungen werden um 25 Prozent gesenkt.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac kritisierte die Maßnahme bereits am Mittwoch scharf: Finanzprodukte zu fördern, die für den Crash verantwortlich waren, sei "verantwortungslos und macht eine neue Krise noch wahrscheinlicher", sagte Lisa Mittendrein, Referentin für Finanzmärkte bei Attac.

Der aus Großbritannien stammende EU-Kommissar Hill argumentiert dagegen, dass mit dem Schritt Unternehmen und Bürger günstiger an Kredite kommen werden. Wenn die Banken weniger Eigenkapital für Verbriefungen halten müssen, bleibt ihnen mehr Spielraum, um Darlehen zu vergeben, so die Idee. Auch die Finanzindustrie sehe das so, sagte Hill.

Ein Einwand von Kritikern lautet dagegen, dass das Problem in Europa derzeit nicht fehlende oder teure Kredite seien. Die Leitzinsen befinden sich auf einem Rekordtief. Doch wegen des anhaltenden Sparkurses in der EU gebe es für Unternehmen zu wenige Investmentmöglichkeiten.

Versicherer sollen profitieren

Die Kommission will aber auch hier Abhilfe schaffen. Ein weiterer am Mittwoch vorgestellter Gesetzesvorschlag zielt darauf ab, Versicherungen in Europa Investitionen in Infrastrukturprojekte zu erleichtern.

Worum geht es? Versicherer in der EU verwalten aktuell ein Vermögen von 9,9 Billionen Euro. Nur ein minimaler Bruchteil davon, rund 22 Milliarden, sind in Aktien oder Anleihen in Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten investiert. Das soll sich ändern. Die Kommission will nach demselben Muster wie bei den Verbriefungen vorgehen.

Versicherungen, die in bestimmte Projekte investieren, sollen weniger Eigenkapital halten müssen. Dabei gibt es keine fixe Definition, was Infrastruktur genau bedeutet – Brückenbauprojekte werden ebenso bevorzugt wie der Aufbau neuer Telefonnetze. Und auch hier gilt, dass spezielle Regeln sicherstellen sollen, dass die Gelder der Versicherer nicht verloren gehen.

Die Erleichterungen sollen weitreichend sein. Ein Beispiel: Ein Versicherer, der sich mit 100.000 Euro an einem Infrastrukturprojekt beteiligt, muss derzeit 25.000 Euro an Eigenkapital dafür hinterlegen. Diese Summe soll auf 15.000 Euro sinken.

Allerdings sind auch bei großen Infrastrukturprojekten die Risiken beträchtlich, sagt Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im Europaparlament, im Gespräch mit dem STANDARD. Der neue Flughafen in Berlin ist ein Paradefall dafür, dass es selbst bei Gigaprojekten oft zu Zeitverzögerungen und Kostenüberschreitungen kommt. "Man muss sich daher die Wirkung der einzelnen Maßnahmen sehr genau ansehen", sagt Giegold. Das EU-Parlament muss die neuen Regeln für Verbriefungen ebenso absegnen wie der Rat. Die neuen Regeln für Versicherer finden in einem beschleunigten Verfahren statt, das laut Plänen der EU-Kommission noch dieses Jahr abgeschlossen werden soll. Bei den Verbriefungen ist der Beschluss 2016 geplant. (András Szigetvari aus Brüssel, 1.10.2015)