Der Nachrichtenchef des Dänischen Rundfunks plädiert in seinem Buch "Constructive News" für mehr konstruktive und lösungsorientierte Nachrichten.

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Journalisten müssen in der Flüchtlingsfrage objektiv bleiben und sollten kein einseitiges Bild der Lage zeichnen. Dies erklärte Ulrik Haagerup, Nachrichtenchef des dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks DR, Dienstagabend vor Journalisten in Wien. Haagerup präsentiert im ORF gerade sein Konzept der "Constructive News" und berichtet über Erfahrungen mit dem integrierten Newsroom.

"Es ist jetzt entscheidend, dass Journalisten Journalisten bleiben und nicht versuchen, Politiker zu sein", meinte Haagerup auf die APA-Frage, wie Medien konstruktiv über die Flüchtlingskrise berichten könnten. "Es geht nicht darum, den Menschen zu erklären, dass Flüchtlinge gut oder schlecht sind. Wir müssen die Geschichte erzählen, wie sie ist", so der DR-Nachrichtenchef. Manche Medien würden sich vor allem auf die negativen Auswirkungen oder die Kosten der Flüchtlingsbewegungen beschränken, anderen Medien zeigten nur das schreckliche Leid oder Bilder netter Flüchtlingskinder. "Umso wichtiger ist es jetzt, dass die Menschen von den Medien ein vollständiges Bild erhalten."

"Müssen ein Fundament der Fakten bauen"

Zentrale Fragen sind dabei laut Haagerup: Wie viele sind es, woher kommen sie, sind es Flüchtlinge, handelt es sich um Migranten, was ist der Unterschied? Kommen sie, weil ihr Leben bedroht ist, oder kommen sie, weil sie ein besseres Leben für sich suchen? Gibt es für diese Gruppen unterschiedliche rechtliche Bestimmungen? Wie ist die Lage in Syrien, wie ist die Lage in Afrika? "Wir müssen ein Fundament der Fakten bauen. Wenn wir es nicht tun, wer sollte es dann tun. Wir müssen über beide Seiten berichten, und wir können die Probleme, die diese Flüchtlingsbewegungen an unseren Grenzen mit sich bringen, nicht ignorieren. Und wir müssen auch über unsere humanitären Verpflichtungen reden und über unsere demografische Entwicklung." Eine solche Diskussion – nach Möglichkeit mit konkreten Lösungsansätzen – soll es im November auf Malta geben. Europas öffentlich-rechtliche Sender planen im Rahmen der EBU auf Anregung Haagerups eine große Debatte mit den Staatsspitzen der EU.

Journalismus in der "Geiselhaft der politischen Korrektheit"

Die Kritik, dass die veröffentlichte Meinung und die öffentliche Meinung in der Flüchtlingsfrage auseinanderliegen und Mainstream-Medien vor allem positiv über das Thema berichten, lässt Haagerup nicht ganz kalt. "Kritik ist okay, aber es ist mein Job, die Welt mit beiden Augen zu sehen. Ich finde es ist an der Zeit, dass sich Journalisten rückbesinnen und wieder als Publizisten verstehen, als Personen, die sich um die Zukunft der Gesellschaft kümmern. Der Journalismus wurde in den vergangenen Jahren von Leuten in Geiselhaft genommen, die sich mehr um Ökonomie und Geschäfte gekümmert haben. Der Journalismus wurde von politischen Aktivisten in Geiselhaft genommen, die sich nur als Reporter verkleidet haben. Und der Journalismus war in der Geiselhaft der politischen Korrektheit. Das sind mit Gründe für den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa. Viele Menschen glauben nicht, dass ihnen die Mainstream-Medien die Wahrheit erzählen. Und zum Teil haben sie recht", so Haagerup.

"Wir müssen über beide Seiten berichten"

In Schweden oder Frankreich hätten die dortigen Medien Themen und Arbeit der rechtspopulistischen Schwedendemokraten oder des rechtsextremen Front National ignoriert. Dem Erfolg der Parteien habe dies nicht geschadet. Haagerup: "Unser Job ist es, den Menschen die beste Version der Wahrheit zu liefern. Und die Wahrheit ist: Es gibt auch Probleme." Der dänische Rundfunk hat in der Flüchtlingsberichtererstattung etwa gezeigt, wie ein Flüchtling von einem Dänen auf der Straße bespuckt wurde, und es gab Bilder von einem Polizisten beim Spielen mit einem Flüchtlingskind. "Wir müssen über beide Seiten berichten, sonst machen wir schlechte Arbeit."

Im ORF präsentiert Haagerup Dienstag und Mittwoch dieser Woche sein Konzept der "Constructive News". In dem Buch gleichnamigen Titels plädiert der Journalist für mehr konstruktive und lösungsorientierte Nachrichten. Medien betreiben Panikmache, sind überwiegend destruktiv, lieferten falsche und verzerrte Bilder und desillusionierten so die Menschen. Dies fördere den Vertrauensverlust in den Journalismus und führe zu Medien- und Politikverdrossenheit, so Haagerups Schlussfolgerung. Konstruktiver Journalismus kann hingegen helfen, die Qualität im Journalismus zu steigern und verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. (APA, 30.9.2015)