Berlin – Die Eroberung von Kundus durch die Taliban hat in Deutschland eine Diskussion über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Nordafghanistan ausgelöst. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sprach sich am Dienstag klar dafür aus. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Franz Josef Jung forderte eine Überprüfung des Abzugsdatums.

Die konservative Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte, die NATO solle ihre Beschlüsse über die weitere Truppenstationierung nicht nach "starren Zeitlinien" treffen, sondern nach der aktuellen Sicherheitslage. Der sozialdemokratische Außenminister Frank-Walter Steinmeier nannte den Fall von Kundus ein "dramatisches Signal".

"Besorgniserregend"

Die radikalislamischen Taliban hatten Kundus am Montag eingenommen. Am Dienstag starteten die afghanischen Streitkräfte eine Gegenoffensive. Von der Leyen nannte die Sicherheitslage "besorgniserregend".

Die Bundeswehr hatte sich vor zwei Jahren aus Kundus zurückgezogen, ist aber noch im 150 Kilometer entfernten Mazar-e-Sharif stationiert – allerdings nur zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Armee. Der Kampfeinsatz der NATO war Ende 2014 nach 13 Jahren ausgelaufen. Bisher ist geplant, ab Anfang des Jahres 2016 alle NATO-Truppen aus der Fläche nach Kabul zurückzuziehen.

SPD-Politiker Arnold hält das für zu früh. Die rund 700 deutschen Soldaten im Norden Afghanistans sollten ein weiteres Jahr bis Ende 2016 in voller Stärke dortbleiben. "Angesichts der Situation in Afghanistan wäre es falsch, die Afghanen völlig alleine zu lassen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Eines kann es nicht geben: Dass wir zuschauen, wie die Taliban das Land überrennen." Die Entscheidung liege aber letztlich bei US-Präsident Barack Obama, weil sein Land die meisten Soldaten der NATO-Truppe stelle.

830 deutsche Soldaten in Afghanistan

Das betonte auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder. "Deutschland kann ohne die Amerikaner allein in Afghanistan nicht bleiben", sagte er. Der frühere Verteidigungsminister Jung wurde im Interview mit dem "Tagesspiegel" deutlicher: "Wir müssen prüfen, ob wir das Abzugsdatum halten können, denn wir müssen ein stabiles Afghanistan hinterlassen."

Außenminister Steinmeier (SPD) sagte in New York, Deutschland werde die Ausbildungs- und Beratungsmission für die afghanischen Streitkräfte auf jeden Fall bis Ende 2016 fortsetzen. "Dann muss man sehen, wie das nächste Jahr weiter verläuft und ob diese Beratungs- und Ausbildungsmaßnahmen weitergehen werden." Die Entscheidung werde zusammen mit Deutschlands Partnern getroffen.

Derzeit sind noch 830 Bundeswehrsoldaten in Mazar-e-Sharif und Kabul stationiert. Ein kleines Team der Bundeswehr flog am Dienstag nach Kundus. Die Soldaten hätten sich vorübergehend "zu Abstimmungsgesprächen" am Flughafen von Kundus aufgehalten, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Dabei sei es darum gegangen, "zu verstehen, wie die afghanische Armee gedenkt, die Hoheit über die Stadt zurückzugewinnen". (APA, 29.9.2015)