Strache wird nicht Kanzler. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist immer noch viel größer, als dass er es wird. Absolute Mehrheit schafft er nicht (außer aus Österreich wird Ungarn), und wenn die FPÖ die relative Mehrheit erhält, müssten die in der ÖVP und/oder der SPÖ schon völlig umnachtet sein, um den Juniorpartner abzugeben.

Nur: Ganz ausgeschlossen ist eine FP-Kanzlerschaft nicht. Vielleicht spaltet sich von der ÖVP ein extrem unzufriedener rechter Flügel ab, so wie sich ja mit den Neos ein unzufriedener liberaler Flügel abspaltete.

Der Kanzler müsste auch nicht unbedingt Strache heißen. Strache weiß ziemlich genau, dass er das nicht kann, dass er überfordert wäre; auch dass es dann aus wäre mit dem Ibiza-Highlife und den wechselnden Partnerinnen. Auch Jörg Haider scheute ja die Verantwortung und wollte nicht wirklich Kanzler werden, allerdings aus anderen, ebenfalls persönlichen Gründen.

Strache ist auch kein kaltäugiger Machtmensch, der mit einem ausgearbeiteten weltanschaulichen Fundament und einem strategischen Plan die Macht dauerhaft an sich reißt, um das Land in Richtung einer autoritären Formaldemokratie umzubauen. Er ist nicht der Typ.

Den Typ gibt es allerdings sehr wohl in der FPÖ, er ist der zweite Mann hinter Strache, Johann Gudenus. Der knapp Vierzigjährige aus adeligem Haus hat einerseits den Schliff und die formale Bildung, die Strache fehlen, und gleichzeitig eine nationalreaktionäre Grundierung. Er ist ein Putin- und Orbán-Bewunderer mit entsprechender Vernetzung (siehe auch Alexander Pollak: Hassprediger. Der aufhaltsame Aufstieg des Johann G., Epubli-Verlag). Das Ziel wäre ein Umbau der Gesellschaft in Richtung autoritärer Herrschaft, wie es Viktor Orbán gelungen ist.

Kann gut sein, dass Strache, der nun seit zehn Jahren unablässig Opposition macht, im "Endspurt" dann gar nicht mehr dabei ist. Aber, wie auch immer, die FPÖ ist bundesweit wieder an der 30-Prozent-Grenze, und das verändert für sich genommen schon die politische Landschaft. Die Bagatellisierer der schwarz-blauen Koalition von 2000 bis 2006 sagen ja immer, es sei eben nicht "der Faschismus ausgebrochen". Erstens hat das niemand behauptet, und zweitens waren die undemokratischen Auswüchse (FP-Polizeispitzelaffäre, "Ausländer deportieren") in Kombination mit atemberaubender Inkompetenz und Korruption durchaus ausreichend.

Wenn die FPÖ durch den Zeitgeist jetzt wieder an die Regierung kommt, sei es als Kanzlerpartei, sei es als praktisch gleichberechtigter Partner, können wir mit einer verschärften Neuauflage der damaligen Katastrophe rechnen. Die Vorstellung, dass Strache oder Gudenus Österreich im EU-Rat vertreten; dass ihre kruden Vorstellungen von wirtschaftlicher Abschottung umgesetzt werden könnten; dass sich durch Polizei, Heer, Justiz, Universitäten wieder ein Klima der Repression zieht; dass Beschimpfungen und Schikanierung der politischen Gegner eine Machtbasis bekommen usw., ist tief beunruhigend. (Hans Rauscher, 29.9.2015)