Emmanuel Obeya (vorn) und Esther Balfe tanzen im Kunsthistorischen Museum über Flucht, Vertriebensein, Verlorenheit und Sehnsucht.

Foto: Helmut Wimmer

Wien – Peter Wolf trägt eine Reisetasche, aus der es hell leuchtet, sobald er sie öffnet. Der Schauspieler ist Produzent des Ganymed-Projekts, das gerade in seiner dritten Ausgabe im Wiener Kunsthistorischen Museum läuft. Auf Ganymed Boarding und Ganymed Goes Europe folgt jetzt Ganymed Dreaming: abendliche Tête-à-têtes von heutiger darstellender Kunst mit Werken alter Meister unter der Regie von Jacqueline Kornmüller.

Die Premiere in der Vorwoche geriet zum Publikumshit. Brechend voll war die Eingangshalle, als sich die überwiegend gülden gewandeten Akteure zum Auftakt langsam die Hauptstiege hinunterbewegten. Angeführt wurde die Gruppe von einer jungen Tänzerin in silberblitzendem Kleid: Maria Teresa Tanzarella glitt mit einem Buch in Händen langsam die Stufen hinunter. Nach dieser getragenen Einstimmung ging es los. An insgesamt dreizehn Stationen in den Sammlungssälen gab – und gibt es bei den weiteren Aufführungen – Szenen und Acts zwischen Theater, Tanz und Konzert.

Da rezitiert beispielsweise David Djuric im Brueghel-Saal mit Blindenstock und Fellmantel den Text Blau des Kunsthistorikers Daniel Uchtmann über Pieter Brueghels des Älteren verschollenes Frühlingsbild. Andernorts und in krassem Gegensatz dazu bläst währenddessen die Wiener Band Federspiel mit akrobatischer Action und Ironie zum Halali vor Lukas Cranachs des Jüngeren Hirschjagd des Kurfürsten Johann Friedrich.

Hart an die Realität dagegen gehen Emmanuel Obeya und Esther Balfe in Lampedusa, ihrem Tanz über Flucht. Obeya, in Nigeria geborener Brite und wie Balfe einst Mitglied des Tanztheaters Wien, singt in geisterhaftem Licht ein Schmerzenslied über Vertriebensein, Verlorenheit und die Sehnsucht nach einem neuen Leben. Politisch auch die Mezzospranistin Angelika Kirchschlager: Mit brillanter Wucht und betäubendem Gong versenkt sie Russlands Wladimir Putin in seiner "intimen Nähe" zur absolutistischen Zarin Katharina der Großen, die 1783 die Krim annektierte.

Die Bezüge der Künstlerinnen und Künstler des Abends zu den von ihnen gewählten Gemälden sind zum Teil verspielt wie bei Marino Formenti, der sich von Lorenzo Lottos Jüngling vor weißem Vorhang anregen ließ – der Pianist spielt, ein Teil des Publikums ruht auf Matratzen. Oder aber auch direkt wie jene des Lichttaschenspielers Wolf, der mit Worten von Viktor Martinowitsch laut über das Bild Alter Mann im Fenster von Samuel van Hoogstarten nachdenkt. Oder bei Tanzarella, die ein Traumtagebuch mit einem Selbstporträt der großen italienischen Renaissancemalerin Sofonisba Anguissola verbindet.

Manchmal treten die dicht gehängten Museumsschätze bei diesem Ereignis auch in den Hintergrund – und werden dann zur Kulisse. Hinter Ganymed Dreaming steht eine etwas zu offensichtliche Vermittlungsidee. Das Publikum soll tagsüber wiederkommen und sich dann auf das konzentrieren, was während des Abends von der Direktheit all der Live-Performances, auch von Sylvie Rohrer, Dorka Gryllus und den Strottern, eher bedeckt bleibt. Insgesamt ist das ein breitenwirksames Hochkulturereignis nach dem Modell des künstlerischen Parcours in zeitgenössischen Performance-Kuratierungen der 1990er-Jahre, aber doch noch keine Spektakularisierung des Museums. Ein, zwei experimentellere Positionen hätten trotzdem nicht geschadet. (Helmut Ploebst, 29.9.2015)