Parodontitis kann zu umfangreichem Knochenverlust führen, wie er hier zwischen den beiden Zahnwurzeln zu sehen ist.

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Probeentnahme aus Zahntasche, Illumina-Sequenzierung (Mitte oben), Treponema-Erreger in der Zahntasche (darunter), Metabolische Netzwerke.

Foto: HZI/ Wagner-Döbler

Braunschweig – Parodontitis ist die am weitesten verbreitete Infektionskrankheit auf der Welt. Etwa zehn Prozent aller Menschen sind davon betroffen, im Alter sind es sogar fünfzig Prozent. Parodontitis wird durch einen Biofilm in den Zahntaschen ausgelöst, der sich aus mehreren hundert Bakterienarten zusammensetzt. Im Endstadium führt die Parodontitis zu Zahnverlust und erhöht zudem das Risiko für Herzschlag, Rheuma, Fehlgeburt, Autoimmunkrankheiten und andere systemische Krankheiten

Wie diese Bakterien zusammenarbeiten, haben nun Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig durch Analyse von rund zehn Millionen aktiven Genen aus Zahntaschen erforscht. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im offen zugänglichen Online-Journal "Biofilms and Microbiomes".

Biofilm-Analyse

Um genau zu verstehen, wie eine Parodontitis entsteht, muss man die Aktivität des Biofilms, der sie verursacht, genau analysieren. "Bei den Mikroorganismen handelt es sich sowohl um gut untersuchte Pathogene, als auch um solche, die bisher als Begleitflora betrachtet wurden und als harmlos galten", sagt Irene Wagner-Döbler, Leiterin der Arbeitsgruppe Mikrobielle Kommunikation am HZI.

Sie und ihre Kollegen haben eine sogenannte Metatranskriptionsanalyse durchgeführt. Dabei sequenziert man nicht die Erbinformation selber, die DNA, sondern die Messenger-RNA, also die Arbeitskopien der Gene, und zwar sämtlicher aktiven Gene aller Bakterienarten der Periodontaltasche. Diese rund zehn Millionen aktiven Gene wurden anschließend mit bioinformatischen Methoden analysiert.

"Entscheidend war dabei, dass wir die Genexpression in Bakteriengemeinschaften von Menschen mit Parodontitis mit derjenigen von gesunden Probanden verglichen haben", sagt Wagner-Döbler. Dadurch konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ein typischer Bewohner der Zahntasche, das Bakterium Prevotella nigrescens, seine Rolle verändert, je nachdem ob eine Paradontitis vorliegt oder nicht.

"Sobald eine Parodontitis vorliegt, verwandelt sich das normalerweise harmlose P. nigrescens in ein sogenanntes "accessory pathogen" und greift den Wirt an, genau wie die bereits bekannten Pathogene", sagt Wagner-Döbler. Die Erkrankung wird dadurch weiter verschlimmert und lässt sich schwerer bekämpfen. "Ging man bisher davon aus, dass man nur die Leitkeime der Infektion ausschalten muss, um die Krankheit zu besiegen, so deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass das nicht ausreichend sein wird", sagt Wagner-Döbler.

Viele Bakterien beteiligt

Eine weitere neue Erkenntnis betrifft die Rolle des oralen Bakteriums Fusobacterium nucleatum, das häufig in Zahntaschen vorkommt. Man hatte vermutet, dass F. nucleatum in einer entzündeten Zahntasche giftige Buttersäure produziert und dadurch zur Parodontitis beiträgt. Die Analyse der Genexpression zeigte aber, dass F. nucleatum immer Buttersäure produziert, bei Gesunden ebenso wie bei Kranken.

Bei Kranken tragen allerdings noch eine Reihe anderer Bakterienarten zur Butyratproduktion bei und diese Bakterienart nutzt noch weitere biochemische Stoffwechselwege dafür. "Auch an diesem wichtigen Prozess sind unseren Ergebnissen zufolge gleich eine ganze Reihe von Bakterien beteiligt, die bisher nicht damit in Verbindung standen", sagt Wagner-Döbler.

Darüber hinaus gelang es den Forschern, Biomarker für Parodontitis zu identifizieren. Biomarker sind charakteristische biologische Merkmale, die objektiv gemessen werden können und auf einen normalen oder krankhaften Prozess im Körper hinweisen. "Wir haben drei Gene gefunden, die regelmäßig eine besonders hohe Genexpression zeigten, wenn Patienten an Parodontitis erkrankt waren", sagt Wagner-Döbler.

Diese drei Biomarker könnten nun in einer großen Patienten-Kohorte validiert werden und im Endeffekt ermöglichen, Parodontitis in einem frühen Stadium zu diagnostizieren, so dass eine Therapie deutlich erfolgreicher wird. (red, 29.9.2015)