Arthur Seyß-Inquart (links vorne) neben Hitler in Wien im Jahr 1938.

Foto: Deutsches Bundesarchiv

Wien – Als Bundeskanzler und Reichsstatthalter Österreichs, Reichskommissar in den Niederlanden und schließlich als Reichsaußenminister erreichte Arthur Seyß-Inquart im Nazi-Regime höhere Positionen als jeder andere Österreicher. Als Schreibtischtäter war er verantwortlich für den Tod Hunderttausender Menschen. Bis zuletzt "zeigte er keinerlei Reue", wie Historiker Johannes Koll erklärte.

Vergangene Woche präsentierte Koll in Wien seine neue Seyß-Inquart-Biografie, in der er unter anderem die letzten Tage des als Kriegsverbrecher in Nürnberg zum Tode Verurteilten aufarbeitet. Bisher unbekannte Briefe, Denkschriften wie auch seine eigenen Ausführungen würden belegen, dass der Österreicher "vor Gericht und in der Nürnberger Gefängniszelle keinerlei Zeichen von Reue oder Einsicht von sich gab. Er war sogar fest davon überzeugt, dass der Nationalsozialismus in Deutschland wieder die Oberhand gewinnen werde", schilderte Koll. Deshalb nutzte er den Prozess auch, um weitere angeklagte Nationalsozialisten mit Argumenten auszustatten.

Seyß-Inquart in den Niederlanden

Den Fokus seiner Untersuchungen legte Koll aber auf Seyß-Inquarts Zeit in den Niederlanden, in der sich die Handlungsspielräume des ehrgeizigen Karrieristen, der "eigentlich keine Hausmacht hatte, weder in der SS noch in der NSDAP", besonders gut nachvollziehen lassen. Der Historiker wertete die Bestände von 26 Archiven sowie andere Quellen aus und stellte fest, "dass Seyß-Inquart bei der Nazifizierung und Gleichschaltung der Niederlande viel Freiraum hatte – und diesen zur Profilierung genutzt hat."

Dabei nutzte Seyß-Inquart sowohl die "mit erschreckender Effizienz gesteuerte Judenverfolgung" wie die brutale Bekämpfung jeglichen Widerstands für seine "erstaunliche" Karriere. Kolls Biografie will aber nicht an der Person des Nationalsozialisten beschränkt bleiben: Anhand von Seyß-Inquarts Wirken soll auch die Bedeutung einer solchen "Zwischeninstanz" zwischen Reichsführung und Verwaltungsapparat herausgearbeitet werden.

Schreibtischtäter

Augenmerk liegt zudem auf der Besatzung der Niederlande – bei der Seyß-Inquart etwa mit seiner Kulturpolitik, die beispielsweise explizit Künstler aus der "Ostmark" förderte, Akzente setzte. Zudem wolle er eine Lücke in der Tätergeschichte schließen, so Koll, zu "diesem Schreibtischtäter, der für die systematisch betriebene Entrechtung und den Tod von Hunderttausenden von Menschen verantwortlich war, wohl ohne selber einen einzigen Schuss abgegeben zu haben". (APA, 4.10.2015)