Am Dienstag ging der 18. European Cancer Congress in Wien zu Ende, an dem 20.000 Onkologen aus aller Welt über Erforschung und Therapie von Krebs diskutierten. Eine Auswahl von dort vorgestellten Studien, die die Medizin verändern könnten

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Genetische Besonderheiten wiederkehrender Mammakarzinome

Obwohl die meisten Patientinnen mit Brustkrebs geheilt werden können, kehrt der Krebs bei einer von fünf Frauen zurück – entweder am Ort des ersten Tumors (lokalrezidiv) oder an anderen Stellen des Körpers (Metastasierung). Britische Forscher analysierten Gensequenzen von Tumorgewebe von 1.000 Frauen, die an Brustkrebs erkrankt waren – 161 davon nicht zum ersten Mal. Beim Vergleich von Gewebeproben zeigten sich genetische Unterschiede zwischen primärem und wiederauftretendem Tumor – mit einigen veränderten Merkmalen, die in späteren Phasen erworben waren, wenn der Krebs wiederkehrte und sich ausbreitete.

Diese Erkenntnis könnte wichtige Auswirkungen auf die personalisierte Medizin haben. Es würde nämlich bedeuten, dass die auf eine spezielle genetische Mutation abzielende Therapie mit Fortschreiten der Erkrankung gewechselt werden müsste.

Die Studie

The driver landscape of breast cancer metastasis and relapse

Foto: APA/dpa-Zentralbild/Jan-Peter Ka

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Krebsdiagnose während der Schwangerschaft

Für eine Studie wurden 129 Kinder zwischen einem und drei Jahren untersucht, deren Mütter in der Schwangerschaft krebskrank waren – die Kinder zeigten jedoch eine normale und gesunde Entwicklung. "Eine notwendige Chemotherapie ist kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. Die Therapie der Mutter sollte ohne Verzögerung starten", sagte Studienleiter Frédéric Amant.

Allerdings: Bei krebskranken Müttern, egal ob behandelt oder nicht, kommt es häufiger zu Frühgeburten. Und diese können mitunter mit einer verzögerten Entwicklung einhergehen. Wie es scheint aber auch nicht häufiger als bei Frühgeburten von gesunden Müttern.

Die Studie

Pediatric Outcome after Maternal Cancer Diagnosed during Pregnancy

Foto: apa/dpa/Maurizio Gambarini

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Routine-Laborwerte liefern aussagekräftige Prognose bei Patienten mit Hirnmetastasen

Die häufigsten bösartigen Hirntumore sind Metastasen anderer Krebserkrankungen im Körper. Eine Studie der Med-Uni Wien mit 1.201 Fällen zeigt, dass eine Untersuchung von Routine-Laborwerten wie Hämoglobin, Albumin, Thrombozyten, Leukozyten und CRP aussagekräftige Prognosen über den weiteren Verlauf der Erkrankung ermöglicht.

Mehr dazu

Routine-Laborwerte zeigen Zustand von Krebspatienten an

Die Studie

Laboratory parameters have independent prognostic impact in patients with newly diagnosed brain metastases: analysis of 1201 cases

Foto: barbara gindl/apa

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Große Unterschiede beim Überleben von "Blutkrebs" innerhalb der EU

Eine Studie mit 2.000 Krebspatienten (verschiedenste Krebsarten) aus allen europäischen Ländern kam zu dem Ergebnis, dass die Überlebensrate in Osteuropa tendenziell niedriger ist als in Zentral- und Nordeuropa. Besonders deutlich ist dieser geografische Unterschied bei hämatoonkologischen Erkrankungen, also denen, die das Blut betreffen. Konkret: chronisch myeloische Leukämie, lymphatische Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom und multiples Myelom. Einzig beim Hodgkin-Lymphom ist die Prognose in den meisten Ländern ähnlich, nämlich sehr gut.

Auch eine weitere Studie mit Daten von mehr als 7,5 Millionen Patienten in 29 europäischen Ländern konnte geografische Unterschiede für sämtliche Krebsarten aufzeigen. So haben Dänemark, Großbritannien und osteuropäische Länder niedrigere Fünf-Jahres-Überlebensraten für Krebspatienten. Alterskorrigiert betrug das Fünf-Jahres-Überleben etwa in Nordeuropa knapp 60 Prozent, in Irland 50 Prozent, in Osteuropa 45 Prozent.

Das Ergebnis habe mit dem Bruttoinlandsprodukt und den nationalen Gesundheitsausgaben zu tun, so die Forscher. Allerdings gebe es auch Ausnahmen wie eben Dänemark und Großbritannien. In diesen Fällen könnten biologische Unterschiede, aber auch unterschiedliche Screening- und Diagnoseroutinen in den einzelnen Ländern zugrunde liegen.

Die Studie

Is Europe doing better in cancer care since the 90s? The latest findings from the EUROCARE-5 study

Foto: wikipedia/Gabriel Caponetti/[cc;3.0;by-sa]

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Chirurgie sorgt für höhere Überlebensraten bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren des Rachens

Patienten mit Krebs des mittleren und unteren Rachens überleben eher, wenn die initiale Behandlung eine Operation umfasst. Das zeigt eine Studie aus Taiwan an mehr als 4.000 Patienten, die in den fünf Jahren nach der OP Metastasen entwickelten.

"Die Betonung auf den Organerhalt hat zu einem abnehmenden Einsatz der Chirurgie geführt. Eine gleichzeitige Chemo-Strahlentherapie wurde zum Standardansatz bei nichtoperablen Kopf-Hals-Tumoren, aber auch bei solchen, die operabel wären", sagt Chih-Tao Cheng vom Sun-Yat-Sen-Krebszentrum in Taipeh. Diese Vorgehensweise müsse neu evaluiert werden.

Die Studie

Primary surgery for advanced oropharyngeal and hypopharyngeal cancers: A nationwide study in Taiwan

Foto: dpa/apa/Angelika Warmuth

Nivolumab verbessert das Überleben von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenkrebs

Der Wirkstoff Nivolumab verlängert signifikant das Überleben bei jenen Nierenkrebs-Patienten, deren Erkrankung nach der Erstlinientherapie weiter fortgeschritten ist. Das zeigt eine Studie, die zeitgleich zum Kongress im "New England Journal of Medicine" publiziert wurde.

Bei Nivolumab handelt sich um einen Immuncheckpoint-Inhibitor. Es erhöht die Fähigkeit des Immunsystems, Tumorzellen zu erkennen und zu vernichten. Patienten, die mit Nivolumab behandelt werden, gewinnen im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie mit dem Immunsuppressivum Everolimus ein halbes Jahr (medianes Überleben: 25 statt 19,6 Monate).

Außerdem gibt es bei Nivolumab nur halb so oft (19 Prozent der Patienten) schwere Nebenwirkungen (Grad drei und vier) wie bei Everolimus (37 Prozent). Laut den Forschern ist zwar noch nicht abzusehen, wann Nivolumab in die Kliniken kommen wird, sie gehen aber davon aus, dass es zur neuen Standardtherapie werden könnte.

Eine andere, ebenfalls auf dem Kongress präsentierte Studie zeigt, dass auch Cabozantinib das Überleben bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenkrebs deutlich verlängern kann. Bei den 658 Patienten zeigte sich ein um ein Drittel besseres Gesamtüberleben für Cabozantinib im Vergleich zu Everolimus.

Die Studien

Nivolumab versus Everolimus in Advanced Renal-Cell Carcinoma

Cabozantinib versus Everolimus in Advanced Renal-Cell Carcinoma

Foto: wikipedia/kgh/[cc;3.0;ny-sa]

Vielversprechende Ergebnisse bei seltenen und schwer behandelbaren neuroendokrinen Tumoren

Neuroendokrine Tumore (NETs) entwickeln sich im neuroendokrinen System, das für die Produktion von Hormonen verantwortlich ist. Bisher sind die Therapiemöglichkeiten sehr begrenzt. Wie nun eine Studie des Anderson Cancer Center der Universität von Texas in Houston zeigt, verzögert Everolimus das Tumorwachstum sowohl von gastrointestinalen als auch von Lungen-NETs.

Die Studie wurde in 13 europäischen Ländern sowie in Japan, Südkorea, Kanada und den USA durchgeführt. Untersucht wurden Patienten mit funktionell nichtaktiven NETs – weil die Tumore kein Hormon produzieren beziehungsweise nur eines, das keine Symptome verursacht, werden diese Tumore oft erst sehr spät, beim Auftreten von Metastasen, erkannt. Mit Everolimus ließ sich das Progressionsrisiko um 52 Prozent senken, zudem gebe es einen Trend zu einem verbesserten Gesamtüberleben – und das bei einem günstigen Sicherheitsprofil. Weitere Studien folgen.

Die Studie

Everolimus in advanced nonfunctional neuroendocrine tumors (NET) of lung or gastrointestinal (GI) origin: Efficacy and safety results from the placebo-controlled, double-blind, multicenter, Phase 3 RADIANT-4 study

Foto: wikipedia/nephron/[cc;3.0;by-sa]

Melanom: Signifikant längeres Überleben bei Kombination von zwei gezielten Therapien

Patienten, die an schwarzem Hautkrebs leiden, überleben sieben Monate länger (25 statt 18 Monate), wenn sie mit Dabrafenib und Trametinib behandelt werden, verglichen mit einer Monotherapie mit Vemurafenib. Außerdem entwickelte sich der allgemeine Gesundheitszustand deutlich besser, die Lebensqualität stieg. Die Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen war in beiden Gruppen ähnlich. In Europa ist die Kombinationstherapie bereits zugelassen.

Die Studien

Grob JJ. COMBI-v: health-related quality of life (HRQoL) impact of the combination of dabrafenib and trametinib (D+T) vs vemurafenib (V) in patients with BRAF V600 metastatic melanoma (MM)

Two year estimate of overall survival in COMBI-v, a randomized, open-label, phase III study comparing the combination of dabrafenib (D) and trametinib (T) with vemurafenib (vem) as first-line therapy in patients (pts) with unresectable or metastatic BRAF V600E/K mutation-positive cutaneous melanoma.

Foto: wikipedia/public domain/National Cancer Institute

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Zielgerichtete Krebstherapie bei Eierstockkrebs: Neue Doppelstrategie bremst Zellteilung

Mit einem neuen Konzept für die zielgerichtete Therapie des Ovarialkarzinoms (Eierstockkrebs) könnte die Entwicklung von Resistenzen besser kontrolliert und die Therapieerfolge verbessert werden. Die Strategie zielt darauf ab, das Tumorwachstum zu bremsen, indem zwei Signalnetzwerke statt nur einem gehemmt werden. Der nächste Schritt ist die Überprüfung des Ansatzes in In-vivo-Studien, berichten die Forscher der Med-Uni Wien.

Die zielgerichtete Krebstherapie konzentriert sich darauf, Signalnetzwerke der Tumorzellen zu blockieren. Dadurch fehlen der bösartigen Zelle die Befehle, die zum Beispiel zum Zellwachstum oder zum Zelltod führen. Meist sind es Eiweißstrukturen, sogenannte Rezeptoren, die sich im Übermaß auf der Oberfläche der Tumorzelle oder in ihrem Inneren befinden, die jene Signale aufnehmen und weiterleiten, die zur Entartung führen.

Bislang standen vor allem Zellteilungssignalwege, also jene Mechanismen, die der Zelle den Impuls zur Zellteilung und zum Wachstum geben, im Visier der Behandler. Thomas Grunt, Leiter der neuen Studie: "Leider sind maligne Zellen sehr flexibel und entwickeln Resistenzen gegen die eingesetzten neuen zielgerichteten Therapeutika. Das ist das größte Problem in der Onkologie. Unsere Idee war daher, ein zweites Signalsystem zu blockieren, um die Wirkung der eingesetzten Substanz zu verbessern."

Ein solches Netzwerk sind zum Beispiel Stoffwechselwege. Sie sind unter anderem für den Aufbau der Zellstruktur, den Energiegewinn und die Zellernährung zuständig. Da maligne Zellen einen hyperaktiven Fettsäurestoffwechsel haben, nahm ihn das Forscherteam unter die Lupe. Der nächste Schritt sind weitere Studien, die prüfen sollen, welche der bereits zur Verfügung stehenden Substanzen, die die PI3K-mTORC1-Kinase als Ziel haben, auch im Menschen wirken.

Die Studie

Molecular interplay between cancer cell fatty acid metabolism and oncogenic signaling as resource for novel treatment strategies against ovarian cancer

Foto: STEVE GSCHMEISSNER / Science Photo Library / picturedesk.com

Weniger Hodgkin-Lymphome bei Kindern und jungen Erwachsenen unter beengten Wohnverhältnissen

Das Leben auf engem Raum scheint Kinder und junge Erwachsene vor einem bestimmten Typ eines Hodgkin-Lymphoms (HL) zu schützen – einer Krebserkrankung, die von bestimmten weißen Blutzellen, den Lymphozyten, ausgeht.

Dieser Schutzeffekt legt die Vermutung nahe, dass eine frühe Infektion, wie sie bei engem Zusammenwohnen wahrscheinlicher ist, das Immunsystem besser stimuliert, um mit späteren Infektionen und Krebszellen effizienter fertigzuwerden. (Florian Bayer, 29.9.2015)

Die Studie

Correlations of incidence rates of Hodgkin lymphoma subtypes in children and young adults with age, sex and deprivation

Foto: wikipedia/kgh/[cc;3.0;by-sa]