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Ein Grenzbeamter kontrolliert den Reisepass eines Rückkehrers an der afghanischen Grenze. Mehr Leute wollen das Land aber verlassen.

Foto: AP Photo/Massoud Hossaini

Kabul – In langen Schlangen drängen sich die Menschen vor der Passbehörde in Kabul. So groß ist der Ansturm, dass die Behörde kaum noch mit dem Drucken der Pässe hinterherkommt. Bereits jetzt stellen Afghanen laut den Vereinten Nationen die zweitgrößte in Europa ankommende Flüchtlingsgruppe – nach den Syrern. Ihre Zahl könnte weiter steigen: Angeblich werden inzwischen täglich 7000 neue Reisepässe beantragt.

Die Flucht aus dem Land ist ein derart großes Thema, dass Afghanistan eine Gegenkampagne auf Social Media startete: Mit Schockfotos von ertrunkenen Flüchtlingen oder überfüllten Booten versucht Kabul, die Menschen zu halten. "Geh nicht", warnen die Bilder. Oder: "Es mag keine Rückkehr geben." Andere Bilder appellieren an Patriotismus und Schuldgefühle: "Ich liebe mein Land. Ich werde nicht gehen."

Angst vor Braindrain

Die Regierung fürchtet einen Braindrain, den Verlust der besten Köpfe, der das kriegsgeschundene Land in eine weitere Abwärtsspirale stürzt. "Unter den Migranten sind einige mit besserer Bildung, einige sogar mit Doktortitel", sagte der Sprecher des Wiedereinbürgerungsministeriums, Islamuddin Jorat. Afghanistan braucht Ärzte, Ingenieure und Lehrer für den Wiederaufbau. Wenn sie fehlen, werden noch mehr Menschen gehen.

Doch immer weniger der 30 Millionen Afghanen sehen eine Zukunft in ihrer Heimat. Seit die Nato Ende 2014 die meisten ihrer Soldaten abzog, verschlechterte sich die Sicherheitslage. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sichere Zahlen gibt es nicht, aber sie wird auf 50 bis 80 Prozent geschätzt. Auch ein Jahr nach seinem Antritt kann Präsident Ashraf Ghani wenig Konkretes vorweisen, was Hoffnung auf eine Wende zum Besseren gibt. Die Friedensgespräche mit den Taliban liegen auf Eis, die Militanten überziehen das Land mit einer neuen Gewaltwelle. Das Wirtschaftswachstum ist binnen zwei Jahren von zwölf auf 1,7 Prozent eingebrochen.

"Die Tore sind offen – das ist unsere beste Chance, Europa zu erreichen" , zitiert die Agentur AFP den 28-jährigen Mirwais, der als Dolmetscher für die Amerikaner arbeitete und nun auf seinen Pass wartet. Über Fernsehen, Radio, Facebook und Twitter hat sich die neue deutsche "Willkommenskultur" in Windeseile verbreitet und offenbar die Nachfrage nach Reisepässen angekurbelt. Fotos mit "Refugees welcome"-Plakaten machen die Runde und lassen "Germany" wie das "gelobte Land" erscheinen. Und noch mehr Afghanen die Reise wagen. (Christine Möllhoff, 28.9.2015)