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Sieht doch sehr lebendig aus: Der Marburg-Virus, 1968 von F. A. Murphy aufgenommen, löst gefährliches hämorrhagisches Fieber aus.

Foto: cdc/corbis

Wien – Die Angriffe hören nie auf. Tagtäglich kommt unser Körper mit Krankheitserregern in Kontakt. Sie wollen sich als Parasiten bei uns einnisten oder uns praktisch bei lebendigem Leibe auffressen. Viele der Invasoren brauchen unsere Zellen sogar zur Fortpflanzung: Viren.

Die Kleinstkreaturen verfügen über keinen eigenen Reproduktionsmechanismus, sondern lassen sich vom Stoffwechselapparat ihrer Wirtszellen vermehren. Die dabei entstehenden Schäden sind oftmals verheerend. Viren können bekanntlich töten.

Antivirale Kampfstoffe

Zum Glück kann die Immunabwehr auf ein ganzes Arsenal an antiviralen Kampfstoffen zurückgreifen. Ihre Bereitstellung wird durch ein raffiniertes Warnsystem gesteuert. Es registriert die Anwesenheit von biochemischen Spuren viraler Herkunft. "Meistens sind das DNA- oder RNA-Moleküle", erklärt der Mediziner Ganes Sen vom Lerner Research Institute in Cleveland, USA. Sobald solch fremdes Erbgut in eine Zelle eingeschleust wurde, aktiviert es spezielle Sensoren, und diese wiederum starten Signalketten, deren Ziel der Zellkern ist. Dort lagert die eigene DNA mit den Codes für die Abwehr.

Eine hochinteressante Gruppe antiviraler Wirkstoffe sind die sogenannten IFIT-Proteine. Die ersten von ihnen wurden Anfang der 1980er-Jahre entdeckt und trugen damals noch Namen wie P56 und P54. Ganes Sen widmet sich bereits seit Jahren ihrer Erforschung. Beim Menschen sind inzwischen sechs verschiedene Typen dieser Eiweißmoleküle bekannt.

IFITs sind allerdings auch bei anderen Wirbeltieren fester Bestandteil des Immunsystems. Man findet entsprechende DNA-Sequenzen sogar bei Knochenfischen und Haien. Im Verlauf der Evolution hat sich die Anzahl unterschiedlicher IFIT-Typen demnach erhöht. "Es scheint, dass diese Gene alle von einer Urvariante abstammen und sich später differenzierten", sagt Sen. Vielfalt erhöht die Leistungsfähigkeit.

Wahres Bombardement

Die Produktion von IFITs kann sowohl über Interferone als auch über andere Botenstoffe – allesamt Bestandteile der oben erwähnten Signalketten – eingeleitet werden. Aus immunbiologischer Sicht macht eine solche Komplexität Sinn. Gäbe es nur einen oder einige wenige Steuerungsmechanismen, dann könnten Krankheitserreger diese viel leichter umgehen. Dasselbe Prinzip gilt für die Abwehrsysteme. Interferone zum Beispiel aktivieren an die 200 verschiedene Gene. Die daraus hervorgehenden Produkte greifen Viren auf unterschiedliche Weise an, die Invasoren sehen sich einem Bombardement ausgesetzt.

Auch die IFITs selbst sind offenbar Mehrzweckwaffen. Ihre Funktionalität wird erst nach und nach von der Wissenschaft enträtselt. "Sie tun wahrscheinlich viele Dinge, von denen wir noch nicht mal eine Ahnung haben", meint Ganes Sen. Besonders eindrucksvoll ist indes die Wirkung von IFIT-Proteinen gegen bestimmte Viren wie die Erreger von Influenza A oder das Rift-Valley-Fieber.

Ihr Erbgut besteht aus RNA-Ketten, deren Enden nicht mit Kappen aus methylierter Ribose ausgestattet sind – im Gegensatz zu zelleigener mRNA. IFIT-1 erkennt diese ungeschützte Struktur, bindet sich daran, und bildet anschließend mit IFIT-2 und IFIT-3 einen Komplex. Dieses wulstige Konstrukt blockiert nun jeglichen weiteren Zugang zur viralen RNA. Sie kann weder kopiert noch abgelesen werden. Die Vermehrung des Erregers kommt dadurch zum Erliegen. Leider jedoch ist es einigen Virentypen gelungen, eigene Schutzstrukturen für ihre RNA zu entwickeln und so die Anheftung von IFIT-1 zu verhindern.

Im Kampf gegen die DNA-tragenden Papillomaviren verfolgt das Immunsystem eine etwas andere Strategie. Hier greift IFIT-1 nicht das Erbgut an, sondern ein virales Protein, Helicase E1. Das Enzym spielt bei der Replikation von DNA eine tragende Rolle. Seine Blockade stoppt ebenfalls den Fortpflanzungszyklus der Erreger. Die Infektion kann sich nicht weiter im Körper ausbreiten.

"Nur die Spitze eines Eisbergs"

"Die antivirale Wirkung von IFITs ist vermutlich nur die Spitze eines Eisbergs", betont Ganes Sen begeistert. Womöglich treten die komplexen Moleküle auch beim Abwehren von Bakterien in Aktion. Hierfür gibt es gleichwohl noch keine Belege. Für die Entwicklung neuer Medikamente gegen Viren könnten IFITs bereits jetzt wertvolle Hinweise liefern, glaubt Sen.

"Wenn wir herausfinden, wie sie genau agieren, könnten wir diese Mechanismen nachahmen." Die Bindungsstellen ließen sich zum Beispiel in Form von künstlichen Molekülen kopieren – für den therapeutischen Einsatz, zielgenau und hoffentlich ohne Nebenwirkungen. Doch ob IFIT-Derivate jemals die jahreszeitüblichen Schnupfenepidemien bezwingen können, scheint äußerst fraglich. (Kurt de Swaaf, 2.10.2015)